Pro-Palästina-Kundgebung in Essen

Parolen und Symbole auf Demos: Solidarität oder Volksverhetzung?

Stand: 06.11.2023, 13:25 Uhr

Seit dem Angriff auf Israel gibt es auch in NRW Demos zum Nahost-Konflikt. Welche Symbole, Flaggen und Parolen sind verboten? Was ist von der Meinungsfreiheit gedeckt?

In vielen NRW-Städten finden derzeit immer wieder pro-israelische oder pro-palästinensische Demonstrationen gegen die blutigen Konflikte in Israel und dem Gazastreifen statt. Doch Solidarität mit den Opfern kann leicht in Volksverhetzung kippen, denn es gibt Symbole oder Parolen, die verboten und somit strafrechtlich relevant sein können. Ein Beispiel: Bei einer Demonstration in Essen am Freitag hatten zahlreiche Teilnehmer die Flagge der verbotenen antisemitischen Organisation Hizb Ut-Tahrir gezeigt (siehe Bild) - eigentlich ein klarer Regelverstoß.

Keine Gewaltverherrlichung

Schon nach den ersten Demonstrationen in NRW nach dem Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu besonderer Wachsamkeit aufgerufen und auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte gegenüber dem WDR angekündigt, das Demonstrationsgeschehen genau im Auge zu behalten. Generell ist die Versammlungsfreiheit in Deutschland ein hohes Gut und es darf natürlich auch für palästinensische Interessen demonstriert werden. Dabei müssen aber Regeln beachtet werden.

Was darf nicht gezeigt werden?

Fahnen von Organisationen, die als terroristisch eingestuft sind, sind verboten. Laut NRW-Innenministerium betrifft das die Symbole und Flaggen folgender Gruppierungen: Hamas (auch das ältere Logo), Qassam-Brigaden, Al-Aqsa-Flut, Hizb Allah, Hizb Ut-Tahrir, Islamischer Staat, Tauhid Germany,  Hilafet Devleti, Al-Aqsa, Die Wahre Religion Lies., Ansaar International e. V., Palästinensischer Islamischer Jihad (OU), Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), Volksfront zur Befreiung Palästinas - Generalkommando, Abu Nidal Organisation - "ANO" (Fatah-Revolutionsrat), Al-Aksa-Märtyrerbrigaden, Waisenkinderprojekt Libanon e. V. sowie Farben für Waisenkinder e. V..

Seit dem Jahr 2020 ist auch das Verbrennen jeglicher Nationalflaggen verboten, also auch der israelischen.

Was darf nicht gesagt werden?

Bei Demonstrationen in Berlin wies die Polizei über Lautsprecher darauf hin, dass antisemitische, volksverhetzende, gewalt- oder terrorverherrlichende Äußerungen strafbar sind und konsequent verfolgt werden.

Ein Beispiel: Die Verwendung der Parole "From the River to the Sea, Palestine will be free" werde jetzt von der Staatsanwaltschaft Berlin als strafbar eingeordnet, sagte eine Polizeisprecherin. Hintergrund: Mit dem Satz kann suggeriert werden, es solle ein freies Palästina geben auf einem Gebiet vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer - dort, wo sich jetzt Israel befindet. Entsprechende Landkarten zeigen bei Demonstrationen das Gebiet ganz in Grün, der Farbe des Islam. Die Staatsanwaltschaft sehe bei der Parole einen Anfangsverdacht auf Volksverhetzung, weil das Existenzrecht Israels dadurch betroffen sei, sagte die Sprecherin.

Ist die Parole auch in NRW verboten? "Soweit dies in Versammlungslagen im Zusammenhang mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel geschieht, ist aus Sicht der Staatsanwaltschaften ein Anfangsverdacht wegen der Billigung von Straftaten gegeben", so eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. In Betracht komme dann ebenso eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung. Es gebe aber keinen festen Katalog von verbotenen Sprüchen. Vielmehr seien Aussagen stets auf der Grundlage des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen.

Gibt es eindeutige Regeln für erlaubte und verbotene Aussagen?

Der Übergang zwischen freier Meinungsäußerung und verbotener Hetze sei fließend, sagt Uwe Volkmann, Professor für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht an der Frankfurter Goethe-Universität. "Wenn etwa 'Tod den Juden!' skandiert wird, ist das ein klarer Fall von Volksverhetzung", erklärte Volkmann im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk. In solchen Fällen könne die Demonstration von der Polizei sogar abgebrochen werden.

Allerdings sei in den meisten Fällen eine Einschätzung nicht so einfach. Selbst der Slogan "From the River to the Sea, Palestine will be free" müsse nicht in allen Fällen bedeuten, dass dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen werde - auch wenn der Verdacht naheliege. Theoretisch könne der Slogan auch darauf abzielen, dass eine Zwei-Staaten-Lösung für die Region gefordert werde. Das Bundesverfassungsgericht habe den Grundsatz entwickelt, "dass, wenn bei einer Äußerung mehrere Interpretationen möglich sind, grundsätzlich diejenige zu wählen ist, bei der ein Verstoß gegen Strafgesetze ausscheidet", so Volkmann.

Ist die Leugnung des Existenzrechts Israels strafbar?

Selbst solche Aussagen können von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. "Der Grat zwischen dem, was man nicht hören will, und einem tatsächlichen Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift ist schmal", sagt Volkmann. Dass die deutsche Politik das Existenzrecht Israels zur Staatsräson erhoben hat, sei eine politische Aussage, keine juristische. Das heißt: Wenn solche Fälle vor Gericht landen, müsste die Anklage zum Beispiel nachweisen, dass der betreffende Slogan oder Schriftzug auch schwere Straftaten gutheißt - oder zu Hass oder Gewalt aufstachelt.

Wer überprüft das?

Für Polizistinnen und Polizisten in NRW gibt es laut Reul eine Handreichung, wie verschiedene Sprüche und Symbole einzuordnen seien. Damit sollten polizeiliche Eingriffe gerichtsfest gemacht werden. Einsatzkräfte arbeiten dabei mit Unterstützung von Dolmetschern und dem Staatsschutz sowie der Versammlungsbehörde, um arabische Schriftzeichen und Symbole auf Flaggen schnell auszuwerten. "Wenn wir einen Nachweis haben, wird zugegriffen. Aber wir müssen es beweisen", so Innenminister Herbert Reul im WDR-Interview.

Der CDU-Politiker hatte auch angekündigt, die Auflagen für Kundgebungen zu prüfen. Wer auf den Straßen den Kalifat-Staat ausrufe, habe die demokratische Grundordnung in Deutschland nicht verstanden, sagte er der "Bild am Sonntag".

Pro-Palästina-Demos in NRW

WDR Studios NRW 06.11.2023 03:27 Min. Verfügbar bis 13.11.2025 WDR Online


Unsere Quellen:

  • Innenministerium NRW
  • dpa
  • tagesschau
  • Interview mit Uwe Volkmann im Hessischen Rundfunk