
Erdoğan vs. İmamoğlu: Wohin steuert die Türkei?
Stand: 28.03.2025, 15:51 Uhr
Die Proteste in der Türkei reißen nicht ab: Tausende demonstrieren gegen ihren Präsidenten. Wie ist die Lage in der Türkei? Was steckt dahinter? Und wie ordnen Türken in Deutschland die Situation ein? Der WDR-Podcast "nah dran" liefert Einblicke.
Seit Tagen erschüttern massive Proteste die Türkei. Auslöser war die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu, der als größter Herausforderer des türkischen Präsident Erdoğan gilt. Offiziell wird İmamoğlu Korruption und Terrorunterstützung vorgeworfen. Viele sehen darin jedoch einen politisch motivierten Schlag gegen die Opposition in der Türkei.
Die Reaktion auf die Festnahme İmamoğlus ließ nicht lange auf sich warten: In Istanbul, Ankara und anderen türkischen Städten gehen täglich Tausende auf die Straße. Die Polizei setzt Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschosse ein, Hunderte wurden inzwischen festgenommen. "Die Menschen, die in der Türkei ohne Angst auf die Straße gehen, haben große Hoffnung, obwohl sie Polizeigewalt ausgesetzt sind", sagt Journalist Tuncay Özdamar, der Leiter der türkischen Redaktion bei WDR Cosmo im Podcast "nah dran".
Wer demonstriert - und warum?
Die Proteste vereinen verschiedene Gruppen: Arbeiter, Anhänger der Oppositionspartei CHP und vor allem viele junge Menschen - insbesondere Studenten. Alle eint, dass sie mit Erdoğans Politik unzufrieden sind. Viele sehen İmamoğlu als Hoffnungsträger und bessere Alternative zu Erdoğan: ein weltoffener Politiker, der für sie für Demokratie und einen pro-westlichen Kurs steht.
Auch in Deutschland gab und gibt es Solidaritätskundgebungen. Dass so viele Türkinnen und Türken in Deutschland auf die Straße gehen, sei total neu, beobachtet Özdamar. Deutschland sei früher eine Hochburg von Erdoğans Partei AKP gewesen. Inzwischen habe die CHP in Deutschland ebenfalls Fuß gefasst.
Erdoğans Strategie: Machterhalt um jeden Preis?
Warum geht Erdoğan gerade jetzt so aggressiv gegen seinen größten Rivalen vor? Die Präsidentschaftswahlen in der Türkei sind erst für 2028 angesetzt. Zudem darf Erdoğan laut Verfassung eigentlich nicht mehr zur Wahl antreten.
WDR-Journalist Tuncay Özdamar glaubt aber nicht, dass Erdoğan sich davon abhalten lässt. Entweder könne er die Verfassung ändern lassen oder vorgezogene Wahlen ansetzen, sagt Özdamar. Wenn İmamoğlu dann noch im Gefängnis sitze, könne er nicht gegen Erdoğan antreten. Und auch für eine reguläre Wahl im Jahr 2028 habe Präsident Erdoğan vorgesorgt:
"Wenn İmamoğlu eine Strafe bekommt, dann ist er definitiv raus als Kandidat für die Präsidentschaftswahl. Das ist das Kalkül von Erdoğan, dass er einen anderen, schwächeren Gegner haben möchte. Bloß nicht İmamoğlu." Tuncay Özdamar, Leiter der türkischen Redaktion bei WDR Cosmo

Tuncay Özdamar, Leiter der türkischen Redaktion von WDR Cosmo
Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass Erdoğan mit Hilfe der türkischen Justiz versuchen könnte, die Oppositionspartei CHP anzugreifen oder sogar verbieten zu lassen. Kritiker warnen davor, dass sich die Türkei immer mehr in Richtung eines autoritären Systems entwickelt.
Andererseits sprechen viele von einem "Wendepunkt". Doch ob die Proteste Erdoğans Macht ernsthaft einschränken, bleibt ungewiss. Die türkische Regierung zeigt sich entschlossen, hart gegen die Demonstranten vorzugehen. Gleichzeitig wächst der Widerstand.
Im Podcast "nah dran - die Geschichte hinter der Nachricht" erzählen unsere Reporterinnen und Reporter, was sie bei ihren Recherchen erlebt haben. Sie werfen einen Blick hinter die Nachrichten, hören Betroffenen zu und erleben selbst mit, wovon die meisten nur kurz in den wöchentlichen Schlagzeilen lesen. Näher ran als sie kommt niemand - egal ob im Ausland, in der Hauptstadt oder direkt vor unserer Tür in der Region.