Blutbuchen an Priestergräbern? Ein Jahr Missbrauchsgutachten Münster
Stand: 14.06.2023, 08:12 Uhr
Genau ein Jahr ist es her, dass das Bistum Münster seine wissenschaftliche Untersuchung zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche veröffentlicht hat. Der Bischof hat viel versprochen, jetzt gab es bei einer Podiumsdiskussion in Münster eine erste Bilanz.
Von Heike Zafar
Dieser Abend könnte schwierig werden, das weiß Münsters Bischof Felix Genn, als er den großen Veranstaltungssaal im katholischen Franz-Hitze-Haus betritt. "Das ist kein Zuckerschlecken", sagt er, "wenn man die Kirche als Institution nach außen vertreten muss".
Wie es um die Situation im Bistum über viele Jahre bestellt war, das hat das Missbrauchsgutachten des Bistums Münster vor einem Jahr öffentlich gemacht.
Die damit beauftragten Historiker haben erschreckende Zahlen vorgelegt: 196 Täter, rund 600 Betroffene, systematische Vertuschung, Kumpelei unter Priestern zum Schutz der Täter. Das alles soll nie wieder passieren, sagt Bischof Felix Genn:
Und damit meint der Bischof auch den sogenannten Graubereich, wenn Priester zum Beispiel übergriffig werden gegenüber Erwachsenen unter Ausnutzung ihrer Machtposition.
Blutbuche auf dem Grab
Auch andere Versprechen habe er umgesetzt, beteuert der Bischof. So sei jetzt eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt und finanziert. Ein neu eingerichtetes Verwaltungsgericht solle kritische Personalentscheidungen überprüfen.
Und auch für die Gräber von Tätern, Vertuschern und Mitwissern unter den Priestern gibt es Ideen: "Eine Blutbuche zu pflanzen, ich finde das ist ein sehr sprechendes Symbol und das soll in absehbarer Zukunft geschehen", so Felix Genn.
Was mit den Gruften der Bischöfe im Dom geschehen soll, ist dagegen noch offen. Dort wurde unter anderem Bischof Lettmann beigesetzt, dem in der Studie Vertuschung vorgeworfen wird. Eine vorübergehende Schließung der sogenannten Grablege wurde aufgehoben.
Maßnahmen im Schneckentempo
"In Punkto Aufklärung hat sich im Bistum Münster wirklich einiges getan", sagt der Leiter der Missbrauchsstudie, der Historiker Professor Thomas Großbölting. Vieles sei aber auch noch Zukunftsmusik - zuvor angekündigte Maßnahmen würden verzögert:
Prof. Thomas Großbölting, der Leiter der Missbrauchsstudie
"Die Kirche ist eben eine 2000 Jahre alte Institution, die in langer Trägheit ihren Weg findet". Die Betroffenen erwarteten aber Entscheidungen jetzt und in den kommenden Monaten.
Davon sei die Kirche aber weit entfernt, das sagt auch Peter Tenbusch, der für die Betroffenen auf dem Podium sitzt. Der 57-Jährige wurde als Kind von einem der katholischen Intensivtäter, Pfarrer Pottbäcker, in Rhede missbraucht.
Auch er spart nicht mit Kritik: "Viele Menschen wurden 20 oder 30 Jahre verarscht", sagt er. Jetzt kämen dauernd neue Missbrauchsfälle auf den Tisch, die schon lange bekannt gewesen seien. Das Bistum habe die Gemeinden und ihre Mitglieder aber nicht darüber informiert.
Missbrauchsfall Kleve
Ein spektakulärer Fall ist der eines verstorbenen Priesters, der Schulleiter an einem staatlichen Gymnasium in Kleve war. Das Bistum hatte seit mindestens 2010 Informationen über Missbrauchsvorwürfe gegen den Mann auf dem Tisch. Aber erst vor kurzem wurde der Fall öffentlich.
Viele Themen bleiben offen an diesem Abend, am Ende muss sich Bischof Genn aber noch einer ganz besonderen Frage des Moderators stellen: "Warum sind Sie angesichts der Katastrophe noch in der Kirche?" will er wissen.
Bischof Felix Genn überlegt nur wenige Sekunden: "Wegen Jesus", sagt er dann. Der Applaus ist sehr verhalten. Für alle in diesem Raum ist klar: Es gibt noch sehr viel zu tun. Auch angesichts der Vermutung, dass es noch eine hohe Dunkelziffer von bislang nicht bekannten Opfern und Tätern gibt.