Union und SPD führen Sondierungsgespräche in Berlin

So stark verhandelt NRW die neue Regierung mit

Stand: 13.03.2025, 15:15 Uhr

Die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD über die neue Bundesregierung starten. NRW redet dabei ein deutliches Wort mit.

Von Christoph Ullrich Christoph Ullrich

In der Düsseldorfer Politik-Szene ist es ein ungeschriebenes Gesetz, mit dem man sich immer gerne der eigenen Bedeutung versichert: "Hat Nordrhein-Westfalen Schnupfen, kriegt Deutschland die Grippe", heißt es gerne mal. Der Satz soll die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des größten Bundeslandes unterstreichen. Wer in der Bundeshauptstadt - ob Bonn oder Berlin - NRW vernachlässigt, wird scheitern.

Mit Blick auf die aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD scheint man sich dessen sehr bewusst zu sein. Bei den Verhandlern von CDU und SPD spielen zahlreiche Persönlichkeiten aus den NRW-Verbänden eine Rolle. Und das geht weit darüber hinaus, dass mit Friedrich Merz erstmals ein Sauerländer ins Kanzleramt einziehen könnte.

Geht Scharrenbach nach Berlin?

Nicht erst seit den Verhandlungen hat sich die NRW-CDU zur Machtbasis der Bundespartei entwickelt. Schlüsselpositionen in der Partei sind mit Vertretern von Rhein und Ruhr besetzt, bei den anstehenden Verhandlungen ist das nicht anders. Alleine vier Schlüsselthemen lässt die CDU von NRW-Leuten leiten: so zum Beispiel die Gruppe Verkehr, Infrastruktur, Bauen und Wohnen durch NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach.

Diese Polit-Promis aus NRW verhandeln den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD

Von Sabine Tenta

Allein vier Kabinettsmitglieder der NRW-Landesregierung gehören zum Verhandlungsteam. Das sind die wichtigsten Verhandlerinnen und Verhandler aus NRW.

Karl-Josef Laumann (CDU), NRW's Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, bei Pressekonferenz zu neuer Krankenhausplanung

Karl-Josef Laumann (CDU): Der NRW-Arbeits-, Gesundheits- und Sozialminister wird als "Chefverhandler" die Arbeitsgruppe "Gesundheit und Pflege" mitleiten.

Karl-Josef Laumann (CDU): Der NRW-Arbeits-, Gesundheits- und Sozialminister wird als "Chefverhandler" die Arbeitsgruppe "Gesundheit und Pflege" mitleiten.

Ina Scharrenbach (CDU): Die NRW-Ministerin für "Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung" gehört als "Chefverhandlerin" in herausgehobener Position der Arbeitsgruppe "Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen" an.

Nathanael Liminski (CDU): Der Leiter der NRW-Staatskanzlei und Minister für "Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien" ist Mitglied der Arbeitsgruppe "Kultur und Medien".

Marcus Optendrenk (CDU): Der NRW-Finanzminister ist Mitglied der Arbeitsgruppe "Haushalt, Finanzen und Steuern".

Die NRW-SPD ist mit ihren beiden Vorsitzenden in Berlin vertreten. Achim Post gehört zur übergeordneten Verhandlungsgruppe und Sarah Philipp ist Mitglied der Arbeitsgruppe "Wirtschaft, Industrie, Tourismus".

Aber auch zahlreiche Bundespolitiker, die aus NRW kommen, sind Teil der 256 Personen umfassenden Verhandlungsgruppe. Zu ihnen gehört allen voran der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz (CDU). Der Arnsberger gewann das Direktmandat im Hochsauerlandkreis.

Carsten Linnemann (CDU) ist Generalsekretär der CDU. Der Paderborner gilt als enger Vertrauter von Friedrich Merz.

Jens Spahn (CDU) hat sich nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Bundesgesundheitsministers in der Opposition vorrangig um die Wirtschaftspolitik gekümmert. Bei den Koalitionsverhandlungen ist er "Chefverhandler" der Arbeitsgruppe "Wirtschaft, Industrie, Tourismus". Spahn vertritt in Berlin den Wahlkreis Steinfurt I/Borken I.

Auch Bärbel Bas (SPD) gehört als Bundestagspräsidentin zum Verhandlungsteam, sie hat ihren Wahlkreis in Duisburg.

Dirk Wiese (SPD) leitete bislang im Bundestag zusammen mit der Bielefelderin Wiebke Esdar die Landesgruppe NRW seiner Partei. Wiese ist SPD-Chefverhandler der Arbeitsgruppe "Innen, Recht, Migration und Integration". Wiebke Esdar (SPD) verhandelt in der Gruppe "Familie, Frauen, Jugend, Senioren und Demokratie" mit.

Frank Meyer (SPD) ist Oberbürgermeister in Krefeld und trägt die kommunale Perspektive in die Arbeitsgruppe "Haushalt, Finanzen und Steuern".

Die Koalitionsverhandlungen und die Leitungen der Arbeitsgruppen gelten auch bei den Personalspekulationen, wer welches Ministerium leiten wird, als starkes Indiz. Noch ist offen, wer im neuen Bundestag auf der Regierungsbank Platz nehmen darf. Und ob es in der NRW-Landesregierung eine Kabinettsumbildung geben wird.

Scharrenbach wird dabei tatsächlich nachgesagt, dass sie durch die Arbeit in der Gruppe am Ende auch das zugehörige Ministerium übernehmen könnte. So hatte der Vorsitzende der NRW-IHK, Ralf Stoffels am Montag erklärt, man wisse ja, "woher die Verkehrsminister der Vergangenheit hergekommen sind und wir hätten einen klaren Wunsch, wo der künftige Verkehrsminister herkommen soll." Was Stoffels meint, ist die jahrzehntelange CSU-Dominanz in diesem Ressort, wodurch immer wieder Vorwürfe aufkamen, dass Fördergelder des Bundes gezielt nach Bayern umgeleitet wurden.

Die Aussage ist als klarer Wunsch zu verstehen, dass jemand aus NRW die großen Infrastrukturprobleme des Bundeslandes von Berlin aus in den Griff nehmen soll. Dass durch ihre Rolle bei den Verhandlungen somit Scharrenbachs Name für ein Ministerinnenamt fällt, ist damit nur logisch. Zumal die Zeiten vorbei sind, wo sie als Kronprinzessin auf das Ministerpräsidentinnen-Amt gehandelt wurde. Mehr noch - das Verhältnis zu Ministerpräsident Wüst (CDU) gilt nicht als das beste.

Widersacher feilschen um Gesundheit und Pflege

Ein Abgang Scharrenbachs nach Berlin würde jedoch anderen mächtigen NRW-Verhandlern den Weg verbauen. So ist Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann für die CDU der Verhandlungsleiter bei Gesundheit und Pflege. Dort trifft er von der SPD-Seite auf seinen bisherigen Widersacher und aktuellen Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

Dazu kommt für die CDU noch Hendrik Streeck. Der Virologe hatte sich mit Lauterbach während der Corona-Pandemie teils heftige Debatten über den richtigen Umgang geleistet. Für die CDU gewann Streeck das Direktmandat in Bonn. Alle drei werden als künftige Gesundheitsminister gehandelt.

Das Ressort, wo die Union das größte Konfliktpotenzial mit der SPD erwarten kann, wird ebenfalls maßgeblich von NRW aus mitgestaltet. Die CDU-Gruppe zur Inneren Sicherheit und Migration leitet der Chef der NRW-Parlamentarier, Günter Krings. Dass es eventuell weniger Konflikte gibt als erwartet, könnte an der führenden SPD-Person liegen: Dirk Wiese aus dem Sauerland steht den sozialdemokratischen Verhandlern vor und er ist Chef des "Seeheimer Kreises", dem eher konservativen SPD-Flügel in der Bundestagsfraktion.

Vier NRW-Minister dabei

Vom NRW-Kabinettstisch aus nehmen übrigens auch Finanzminister Optendrenk und Medienminister Liminski an den Verhandlungen teil. Damit kommen vier Minister aus NRW, die den neuen Koalitionsvertrag im Bund mit gestalten sollen. Der Ministerpräsident und Landesvorsitzende der CDU ist zufrieden mit der Rolle seines Landesverbandes.

Er glaube, man stelle die größte Kohorte dar , sagte er in einer Pressekonferenz mit Witschaftsvertretern. "Ich finde das auch angemessen, weil wir den stärksten Beitrag zu diesem Wahlergebnis geliefert haben. Aus keinem Land kamen so viele Stimmen für die Union wie aus Nordrhein-Westfalen", so Wüst.

NRW-SPD mit kompletten Spitzenpersonal dabei

Die NRW-SPD bietet bei den Verhandlungen nahezu sämtlich die relevanten Amtsträger auf. Landeschef Achim Post sitzt in der übergeordneten Verhandlergruppe bei den Parteichefs, ebenso wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas aus Duisburg. Sarah Phillip, die SPD-Co-Chefin im Land, spricht mit der Union über Wirtschaft, Industrie und Tourismus. Dort wird auch über die Umsetzung des in den Sondierungen ausgehandelten Industriestrompreises gesprochen - er war eine Idee der Genossen und Genossinnen von Rhein und Ruhr.

Landtagsfraktionschef Jochen Ott wird in den kommenden Tagen und Wochen ebenfalls mehr in Berlin unterwegs sein als in Düsseldorf. Er ist einer der Verhandler für die künftige Familienpolitik und für die Stärkung der Demokratie.

Von den SPD-Oberbürgermeistern zeigt sich in der NRW-SPD erneut die führende Rolle Frank Meyers bei den kommunalen Mandatsträgern der Sozialdemokraten. Krefelds OB sitzt am Tisch bei den Finanzfragen zwischen Union und SPD. Er vertritt vor allem die NRW-Kommunen, die von einer möglichen Einigung bei den Altschulden am ehesten profitieren. Er wird sich auf Widerstand der CSU-Verhandler einstellen müssen, die der Übernahme kommunaler Schulden durch den Bund kritisch gegenüberstehen.

Enger Zeitplan gesetzt

Alle genannten Politiker und viele weitere aus NRW eint bei den schwierigen Gesprächen jedoch schon jetzt schon eins: der ambitionierte Zeitplan für die Verhandlungen. Er geht aus den offiziellen Handreichungen hervor, die dem WDR vorliegen. Bis zum 24. März um 17:00 Uhr müssen demnach die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse vorlegen. Sie müssen zudem einem "Finanzcheck" unterzogen werden. "Erst danach wird verbindlich über finanzwirksame Maßnahmen entschieden", heißt es in dem dreiseitigem Papier.

Auch ist eine aktive Medienarbeit aus den Gruppen verboten. Es sollen weder Pressekonferenzen noch Statements über Zwischenstände der Verhandlungen abgegeben werden. Auch Selfies aus den Arbeitsgruppen sind nicht erwünscht. Am 23. April soll dann nach bisherigen Planungen Friedrich Merz zum Kanzler gewählt werden.

Unsere Quellen:

  • Listen der Parteien über die Verhandlungsgruppen
  • Eigene Recherche
  • "Handreichung zu den Koalitionsverhandlungen 2025"
  • Pressekonferenzen IHK NRW und von Hendrik Wüst