"Afrikanische Tragödie" von Doris Lessing

Stand: 13.06.2024, 07:00 Uhr

Ein Buch über Unterdrückung und willkürliche Herrschaft im kolonialen Afrika. Doris Lessings "Afrikanische Tragödie" liegt nun in einer Lesung mit Eva Mattes vor. Sie fängt die vielschichtigen Gemütslagen mit Ruhe und Würde ein. Eine Rezension von Christoph Vratz.

Doris Lessing: Afrikanische Tragödie
Gelesen von Eva Mattes.
Der Audio Verlag, 2024.
1 CD, 4 Stunden und 46 Minuten Laufzeit, 15 Euro.

"Afrikanische Tragödie" von Doris Lessing Lesestoff – neue Bücher 13.06.2024 05:23 Min. Verfügbar bis 13.06.2025 WDR Online Von Christoph Vratz

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Es beginnt mit einer knappen Zeitungsnotiz:

"Gestern Morgen wurde Mary Turner, Ehefrau des Farmers Richard Turner aus Ngesi, auf der vorderen Veranda ihres Wohnhauses ermordet aufgefunden. Der Houseboy wurde verhaftet und hat das Verbrechen gestanden. Über sein Motiv ist nichts bekannt. Man geht davon aus, dass er auf der Suche nach Wertsachen war."

Viel ist es nicht, was wir dieser Nachricht entnehmen können – und doch nimmt diese Notiz bereits das jähe Ende des Romans vorweg und erklärt zugleich einen Aspekt des deutschen Titels: "Afrikanische Tragödie". Als das Buch 1950 erstmals im Handel erscheint, ist die Autorin Doris Lessing 31 Jahre alt.

"Höchstwahrscheinlich haben Leute im ganzen Land die Meldung mit der reißerischen Überschrift überflogen und dabei einen Anflug von Ärger verspürt, in den sich so etwas wie Befriedigung mischte, als hätte sich eine Vermutung bestätigt, als wäre etwas Absehbares geschehen. Weiße empfinden so, wenn Eingeborene stehlen, modern oder vergewaltigen."

Im Jahr 1919 als Tochter eines britischen Kolonialoffiziers geboren, wächst Doris Lessing im damaligen Rhodesien, dem heutigen Zimbabwe, auf. Afrika wird ein Teil ihres Lebens. Ihr Roman, diese ernüchternde Darstellung einer tief ungerechten Kolonialgesellschaft, wird im London der Nachkriegszeit zur Sensation. Denn das Verbrechen an der Farmersfrau Mary wird verharmlost als die Tat eines benachteiligten Schwarzen dargestellt, die kein Einzelfall ist. Erst im weiteren Verlauf ergibt sich ein deutlich differenzierteres Bild.

"Die Turners waren unbeliebt, obwohl wenige Nachbarn sie überhaupt kannten oder auch nur aus der Ferne gesehen hatten. Aber was machte sie eigentlich so unbeliebt? Sie bleiben einfach für sich, weiter nichts."

Die Handlung spielt in den 1930er und 40er Jahren. Mary entstammt sehr einfachen Verhältnissen. Freundschaften? Fehlanzeige. Sie scheint kaum zu näheren emotionalen Bindungen fähig. Dennoch heiratet sie, und zwar den Farmer Richard Turner, und ihm folgt sie auf sein einsames Anwesen:

"Sie setzte sich gefasst vor das Tablett, das er hereingebracht hatte, und sah zu, wie er Tee einschenkte. Das Tablett war aus Blech und mit einem fleckigen, zerrissenen Lappen bedeckt, auf dem zwei riesige Tassen standen, die Sprünge hatten."

Bald schon muss Mary erkennen: Einsamkeit und Geldmangel wird sie hier kaum überwinden können. Im Laufe der Zeit wächst die Distanz zu ihrem Mann; den schwarzen Arbeitern gegenüber begegnet sie kalt und mit Verachtung. Einen von ihnen trifft sie mit einem Peitschenschlag.

"Nichts bekümmert den weißen Farmer mehr als die Tatsache, dass er seine Eingeborenen nicht schlagen darf und dass die Eingeborenen ihn, was allerdings selten vorkommt, der Polizei melden können, wenn er es trotzdem tut. Der Gedanke, dass dieses schwarze Tier das Recht hatte, sich über sie, über das Verhalten einer weißen Frau zu beschweren, machte Mary wütend."

Doris Lessing legt in ihrem Roman die damaligen Gewohnheiten und Machtverhältnisse schonungslos offen. Wie wohltuend ist es daher, dass die Schauspielerin Eva Mattes in ihrer Hörbuch-Lesung zeigt, wie wichtig bei dieser aufgeladenen Handlung ein kühler Kopf ist. Denn Mattes liest mit ihrer sanften Stimme wie eine Chronistin, die darlegt, aber nicht selbst den moralischen Zeigefinger erhebt. So verleiht sie, mit berührend einfühlsamer Art, den Figuren ihre eigene Würde – bis zum tragischen Ende.

"Ihre Vergangenheit glitt an ihr vorbei, und aus ihrem flehentlich geöffneten Mund drang der Ansatz eines Schreis und sie hob ihre Hände wie Klauen, um sich zu wehren. Und dann rächte sich der Busch. Das war ihr letzter Gedanke."

Eva Mattes liest Doris Lessings "Afrikanische Tragödie" mit viel Um- und Weitsicht, vor allem aber unaufdringlich, denn sie möchte sich nicht über das Beschriebene erheben. Gut so. Schade, dass dieses Hörbuch nur eine gekürzte Fassung des Romans bietet. Man kann zwar der Handlung so gut folgen, doch man hört Mattes‘ Stimme hier gern zu und hätte den Text lieber in ganzer Länge gehört.