"wrong" und "Lapidarium" von Rainald Goetz

Stand: 07.06.2024, 07:00 Uhr

Eine Ansammlung von Geschichtensplittern und Gedankenschnipseln enthalten die neuen Bücher des Kultautors, dazu zwei erfolgreiche Theatertexte. Eine herrlich chaotische Suada auf das Alter, den Tod, das Schreiben. Eine Rezension von Nicole Strecker.

Rainald Goetz: Lapidarium. Stücke
Suhrkamp, 2024.
367 Seiten, 32 Euro.

Rainald Goetz: wrong. Textaktionen
Suhrkamp, 2024.
367 Seiten, 24 Euro.

"wrong" und "Lapidarium" von Rainald Goetz Lesestoff – neue Bücher 07.06.2024 05:33 Min. Verfügbar bis 31.05.2025 WDR Online Von Nicole Strecker

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Hier ein schräger Satz:

"Dämon abzugeben, günstig, gern."

Da eine aufregende Stelle:

"Je schwächer man ist, umso schwieriger ist es, tolerant zu sein, schlimm sind die Gebildeten, die intolerant sind, die Unschwachen, die rechten Intellektuellen, die das rechte Ressentiment publizistisch mit Freude bewirtschaften, aus Spaß an den Entsetztheitseffekten bei der Mehrheit der Nichtrechten."

Und zwischen solchen gedanklichen Preziosen: Irre strapaziöse Wortgewitter. Lyrisch verknappte Halbsätze, verwirrendes Gelaber, Kaputtheiten aller Art – um gleich mal ein typisches Goetz'sches Lieblingswort zu benutzen. Und Substantiv-Extravaganzen wie...

"Richtigkeitsverdichtung"

oder...

"Weltüberlastungsoverload."

Rainald Goetz lesen heißt immer: Ein Taumel zwischen intellektueller Überforderung und intellektueller Stimulation. 'Ganz-textliches Verstehen' ist also auch in den beiden neu erschienenen Büchern eher nicht angesagt. Der eine Band mit dem herrlichen Titel "wrong", 'falsch', versammelt Interviews, Arbeitsjournale, Reden.

Der andere Band, "Lapidarium", enthält Theaterstücke. Und beide machen gemeinsam und sich gegenseitig kommentierend klar: Der Autor des Rave, der Diskurswirbel und super-elastischen Synapsensprünge ringt nun mit dem Altern, konfrontiert sich mit dem Sterben, dem Tod.

"Das Wissen von der GEWALT, die es braucht, dass es zum Eintreten des Todes final tatsächlich kommen kann, einer im Fall des normalen Todes aus dem Inneren des Körpers selbst entstehenden, gegen den Körper gerichteten Gewalt."

Der Punk unter den Poeten ist nun auch schon siebzig Jahre alt, aber in seinem Schreiben war und bleibt Rainald Goetz ein zärtlicher Wutautor. Famos lustig, voll involviert, immer intensiv. In seinen neuen Büchern konzentriert sich seine Energie auf, wie es heißt, "die Dunkelmaterie des frühen 21. Jahrhunderts": Auf die verbrecherische US-Regierung nach dem 11. September etwa. Auf den Terror des NSU. Oder auf die kleinste soziologische Keimzelle, über die er in seinem gerade bei den Mülheimer Theatertagen gefeierten Stück "Baracke" schreibt:

"alle Gewalt geht von der Familie aus."

Daneben aber beschleicht Goetz jetzt allerdings auch der Zweifel, ob der von ihm früher so gefeierte Hass wirklich so ein guter Motor fürs Schreiben ist. Anlass sind ihm die 2018 posthum erschienenen Tagebücher seines Mentors und Freundes Michael Rutschky, der darin voller Bitterkeit mit seinem Umfeld abrechnet. Obsessiv arbeitet sich Goetz jetzt an Rutschkys gnadenlos sezierendem Blick ab.

Das ödet auf die Dauer schon auch an, ist aber immer dann interessant, wenn Goetz aus dem Widerspruch zu Rutschky eine eigene Poetologie entwickelt. Und wenn er sich zu einer Lebenshaltung ermahnt, die die Güte der Wahrhaftigkeit vorzieht, dem allzu genauen Hinschauen:

"die Augen tendieren zur Grausamkeit, zur Überpräzision, man muss vieles von dem, was man sehen könnte, speziell bei der Menschenbeobachtung, aktiv willentlich übersehen, sofort, noch bevor der böse Blick gierig nachfasst, die Bestie Präzision ihre Zähne ins Detail des am Mitmensch und an einem selbst Sichtbaren schlägt."

So sampeln die beiden Bücher nun wieder in vertrauter Manier Geschichten-Splitter und Gedankenschnipsel. Es gibt im Band "Lapidarium" einen grandios kitschfrei beschriebenen Orgasmus und bizarre Paar-Dialoge über die Liebe. Im Band "wrong" finden sich Bekenntnisse über sein 20 Jahre andauerndes Scheitern an einem Roman mit dem Titel "Der Henker". Außerdem ein Requiem aufs Fernsehen, aber vor allem die ständige Frage: Wie noch schreiben?

"Das Schreiben altert nicht gut. Man erfährt es an sich selbst, sieht es an vielen Beispielen anderer. Man sieht Lähmung und Selbstplagiat, ranzig hochfahrendes Herrenmenschentum, forcierte Experimentalität und enthemmte Geschwätzigkeit, und geht selbst durch alle diese Stationen des Falschen."

Da kämpft einer gegen sich selbst und zeigt, wie schon ganz zu Anfang seiner Karriere, als er sich beim Wettlesen in Klagenfurt die Stirn aufschlitzte, nun auch wieder die Wunden, die das Dichten und Denken ihm schlägt. Das ist berührend, schmerzhaft, anstrengend. Aber wer sagt, dass Kunst nicht anstrengend sein darf, sein soll?