Der Bundestag verabschiedete am Freitag in Berlin ein Gesetz der Ampel-Koalition gegen sogenannte Gehsteigbelästigungen. Behinderungen und das Bedrängen Schwangerer werden verboten und sollen künftig mit bis zu 5.000 Euro Bußgeld geahndet werden können.
100 Meter Abstand
Im Schwangerschaftskonfliktgesetz wird dazu eine Abstandsregel von 100 Metern zu Praxen oder Eingängen von Kliniken oder Beratungsstellen ergänzt. In diesem Bereich werden bestimmte Protestformen der Lebensschützer verboten.
Dazu zählt, Schwangere und Mitarbeitende von Beratungsstellen, Kliniken oder Arztpraxen am Betreten oder Verlassen der Gebäude zu hindern, Frauen gegen ihren Willen anzusprechen, sie einzuschüchtern und von einer Abtreibung abhalten zu wollen.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte den Entwurf in Abstimmung mit dem Justiz- und dem Innenministerium erarbeiten lassen. Schwangerschaftsabbrüche sind nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches verboten, bleiben nach vorheriger Beratung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche aber straffrei.
Mit den Gesetzesänderungen, denen auch die Gruppe der Linken im Bundestag zustimmten, setzt die Ampel-Koalition ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um.
Frauen müssen durch den Hintereingang zur Beratung
Medizinerin Kristina Hänel
Die Ärztin Kristina Hänel aus Gießen kämpft seit Jahren für die Rechte schwangerer Frauen, und ihre Arbeit wird seit Jahrzehnten erschwert. 2017 wurde Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie Informationen zum Schwangerschaftsabbruch bereitstellte. Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches, der dies unter Strafe stellt, wurde 2022 abgeschafft - und Hänel damit rehabilitiert.
Die Anonymität, sagt sie, sei bei dem heiklen Thema für Frauen essenziell: "Viele wollen, dass es keiner erfährt. Es gibt Frauen, die dadurch in Lebensgefahr geraten können." Der Abbruch an sich sei für Frauen "nicht traumatisch", wenn sie gut beraten werden und die Entscheidung für sie "okay" ist. Zum Problem werde der Abbruch erst durch fehlende Akzeptanz des eigenen Umfeldes und Anfeindungen wie den Gehsteigbelästigungen.
Pro Familia: Gehsteigbelästigung greift in Rechte der Frauen ein
Das wird auch von der Beratungsstelle Pro Familia bestätigt, der zufolge 95 Prozent der Betroffenen ihren Schwangerschaftsabbruch auch Jahre später für die richtige Entscheidung halten: "Als belastend werden vielmehr die ungeplante Schwangerschaft und insbesondere die gesellschaftlichen Begleitumstände - Tabuisierung, Stigmatisierung, Kriminalisierung, Restriktion des Zugangs - empfunden", so eine Sprecherin des Verbandes auf WDR-Nachfrage. Zu den belastenden negativen Umständen zählten auch die Konfrontationen mit Abtreibungsgegnern.
Kliniken und Arztpraxen von Protesten betroffen
Pro Familia sei bislang selten von solchen Vorfällen betroffen und könne den Beratungsstellenbetrieb so organisieren, dass Klientinnen "so wenig Kontakt wie möglich zu den Abtreibungsgegnern haben". Arztpraxen wie die von Hänel oder auch die Gynaikon-Klinik in Dortmund träfe das eher. So habe es etwa in Dortmund in den vergangenen Jahren Proteste gegeben, und die zuständige Ärztin, Mitarbeitende sowie der Vermieter des Gebäudes seien belästigt und bedroht worden.
Juristen-Vereinigung Lebensrecht kritisiert Gesetzentwurf
Kritik an dem Gesetzesvorhaben kam unter anderem von Christian Hillgruber, dem Vorsitzenden der Kölner Juristen-Vereinigung Lebensrecht. Er vertritt die Position, dass eine Streichung des Paragrafen 218, der in Deutschland das Abtreibungsverbot regelt, nicht mit der Verfassung vereinbar ist.
Aus Sicht Hillgrubers drängt das neue Gesetz "die Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit weit zurück - und zwar wesentlich weiter, als dies verfassungsrechtlich zulässig ist". Ihm zufolge müssen Frauen "wegen des Pluralismus der Meinungen harmlose Formen von Demonstrationen hinnehmen".
Bislang sind Abtreibungen in Deutschland grundsätzlich illegal - und dürfen nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommen werden. Dazu zählt eine verpflichtende Beratung für Frauen mit einem Abbruchwunsch.
Unsere Quellen:
- Gespräch mit Ärztin Kristina Hänel
- Gespräch mit Pro Familia
- Nachrichtenagenturen dpa, KNA, epd und AFP
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung