Autismus und ADHS: Eltern wollen im Wahlkampf nicht vergessen werden

Stand: 05.02.2025, 11:44 Uhr

Vor der Bundestagswahl machen Eltern von Kindern mit Autismus oder ADHS auf sich aufmerksam, mit der Initiative "Schuloutismus".

Von Daniel Chur

"Es ist so, dass man ein Kind mit einer anderen Wahrnehmung hat und man damit von Vornherein aneckt, egal ob schon im Kindergarten oder später in der Schule", erzählt Svenja Lange-Wilde aus Mülheim. Ihr achtjähriger Sohn hat die Diagnosen Asperger-Autismus und ADHS. So wie ihr geht es vielen Eltern und Kindern.

Schulen überfordert, Kinder im Abseits

Weniger Förderschulen in NRW | Bildquelle: WDR

"Er braucht eine Eins-zu-Eins-Kraft, die ihn rausnimmt, wenn es ihm zu viel wird, also zum Beispiel zu laut im Klassenraum", sagt sie. Doch in Zeiten der jetzigen Inklusionspolitik an Schulen sei das praktisch unmöglich. Viele Förderschulen sind in den vergangenen Jahren von der Bildfläche verschwunden, Regelschulen auf Kinder mit speziellem Förder- und Betreuungsformat personell nach wie vor nicht vorbereitet.

Einiges habe sie sich in all den Jahren an mehreren Regelschulen schon anhören müssen, sagt Svenja Lange-Wilde: "Viele haben keine Ahnung von Autismus, die denken, der sieht doch normal aus und die Mutter ist alles Schuld." Dabei sei man als alleinerziehende Mutter, wie in ihrem Fall, wie eine "achtarmige Krake" permanent aktiv für das Kind.

Arbeiten schafft die Mülheimerin dank Homeoffice zumindest einigermaßen. Doch immer wieder gab es in all den Jahren Anrufe von der Schule, ihr Sohn müsse abgeholt werden, weil die Situation in der Klasse zu schwierig sei. "Es gibt auch Menschen im Umfeld, die mir sagen, ich solle doch einfach Bürgergeld-Empfängerin werden", fügt sie sichtbar frustriert an.

Eltern vernetzen sich

Es gibt viele Eltern, in erster Linie alleinerziehende Mütter, die ähnliches erleben. Mit 60 weiteren hat sich Svenja Lange-Wilde im vergangenen Jahr zusammengetan und die Initiative "Schuloutismus" gegründet. Das "Out" soll symbolisieren, dass diese Familien nach ihrem eigenen Empfinden oft außerhalb der Gesellschaft stehen.

Vielen betroffenen Familien bleibt nur das Homeschooling | Bildquelle: imago images/MiS

"Out" sind die Kinder auch oft bei der Beschulung. "Wir kennen zahlreiche Fälle, wo Kinder monatelang gar nicht beschult werden, wegen dieser Probleme", so Lange-Wilde. Zudem berichten Eltern von ihrer vergeblichen Suche nach einem Schulbegleiter für ihre Kinder. Oder davon, dass sie ihre Kinder nur in die Schule schicken durften, wenn sie ihnen vorab Medikamente verabreicht hätten.

Unbeschult trotz Schulpflicht

Situationen, die auch "Schuloutismus"-Mitbegründerin Cindy Uilderks aus Kaarst kennt. Ihr 14-jähriger Sohn lebt ebenfalls mit ADHS und Autismus, ist im achten Schuljahr und musste schon mehrfach die Schule wechseln. Sein Dilemma zusammengefasst: Auf Regelschulen waren Lehrer in einer Klasse mit fast 30 Schülern mit ihm überfordert, auf einer Förderschule war er dagegen unterfordert.

Zum neuen Schuljahr wollte ihn keine Regelschule in der Umgebung mehr annehmen, trotz Schulpflicht und trotz mehrfacher Hilferufe von Cindy Uilderks in Richtung Jugend- und Schulamt. Warum der Junge trotz allgemeiner Schulpflicht nicht beschult wurde, hat die Stadt Kaarst dem WDR trotz mehrfacher Nachfrage nicht beantwortet.

Der 14-Jährige ist inzwischen auf einer kostenpflichtigen Privatschule angemeldet, auf der er nun gut zurechtkomme, so Cindy Uilderks: "Ich begebe mich damit in ein immenses finanzielles Risiko, weil ich das eigentlich nicht tragen kann." Aktuell prüft die Stadt, ob eine Kostenübernahme für die Schule möglich sein könnte.

Forderungen im Bundestagswahlkampf

Auf die vielen Probleme will die Elterninitiative „Schuloutismus“ nun vor allem im Bundestagswahlkampf aufmerksam machen. Unter anderem fordert das Netzwerk in einem Brief an den Bundestag mehr geschultes Personal für Kinder mit Autismus und ADHS, sowohl bei den Lehrern als auch bei den Integrationskräften.

Bislang ist nur die Oberhausener Bundestagsabgeordnete Franziska Krumwiede-Steiner, selbst Lehrerin an einer Gesamtschule, mit der Initiative in Kontakt getreten.

Schuloutismus-Gründerinnen Svenja Lange-Wilde und Cindy Uilderks mit Franziska Krumwiede-Steiner (Mitte) | Bildquelle: WDR / Chur

Die Grünen-Politikerin sieht vor allem Bedarf an den Schulen: "Praktisch an jeder Schule in fast jeder Klasse gibt es mindestens ein betroffenes Kind. Meines Erachtens müssten Integrationshilfen und Schulbegleiter wie eine Pauschale vorhanden sein an Schulen."

Programme von Bund und Land angelaufen

Kritik, dass ihre Partei schon seit Jahren in Bund und Land mit in der Verantwortung steht, also durchaus mehr hätte tun können, versteht sie. Das noch von der Ampel verabschiedete Start-Chancen-Programm bewertet sie jedoch als Erfolg. Das soll Schulen mit einem sogenannten schlechten Sozialindex mehr Geld zur Verfügung stellen.

Und auch in NRW habe man die Weichen für viel mehr sonderpädagogische Fachkräfte in den kommenden Jahren gestellt, so Krumwiede-Steiner: "In relativ kurzer Zeit werden dann auch mehr sonderpädagogische Fachkräfte auf den Markt kommen.“ Wann Svenja Lange-Wilde, Cindy Uilderks und die vielen anderen betroffenen Eltern und Kinder davon effektiv etwas zu spüren bekommen, bleibt abzuwarten.

Autismus und ADHS: Eltern wollen im Wahlkampf nicht vergessen we WDR Studios NRW 04.02.2025 00:50 Min. Verfügbar bis 04.02.2027 WDR Online

Unsere Quellen:

  • Initiative "Schuloutismus"
  • NRW-Schulministerium
  • Anfrage bei der Stadt Kaarst