Wenn schlechte Noten zum Problem werden - Hochbetrieb bei 'Nummer für Kummer'

Stand: 21.06.2023, 16:02 Uhr

Anrufen können Kinder und Jugendliche die "Nummer für Kummer" das ganze Jahr. Doch zur Zeugnisausgabe wird das Sorgentelefon unter der kostenlosen Nummer 116111 ganz besonders oft gewählt.

Von Georg Lembeck

Jens Stippkugel weiß: Bei seiner Schicht am letzten Schultag in NRW wird es heute wieder vor allem um Notenstress und schlechte Zeugnisse gehen. "Eigentlich rufen Schülerinnen und Schüler schon seit ein paar Tagen an. Meistens wissen sie ja schon vorher, wenn sie schlechte Noten bekommen." Doch am Tag der Zeugnisausgabe selbst wird das Problem für viele drängend, weiß der ehrenamtliche Berater, der sich schon mal auf seine Schicht in den Räumen des Kinderschutzbundes Remscheid vorbereitet.

"Viele Kinder haben Angst vor der Bestrafung durch die Eltern. Meist drohen ein Handyverbot, manchmal auch Schläge." So schlimm schlagende Eltern seien, so Jens Stippkugel, das Medienverbot sei für manche Kinder viel eher "der Horror - da werden sie komplett von ihren sozialen Kontakten abgeschnitten".

Sitzenbleiben - meist eine Riesenbelastung für Betroffene

Ein anders wichtiges Thema: Das Sitzenbleiben. "Vielleicht müssen Schüler auch die Schule wechseln, vielleicht vom Gymnasium auf die Realschule. Das bedeutet den Verlust von Freunden - und eine völlig ungewisse Zukunft nach den Ferien." Auch wenn er in den letzten 15 Jahren schon viele solcher Gespräche geführt hat, ist ihm klar: "Was denjenigen, die anrufen, gerade auf der Seele liegt, ist für sie im Moment das Schlimmste überhaupt."

Strikte Anonymität

Dass ein Reporter bei solch einem Gespräch mal mithört, lehnt Jens Stippkugel vehement ab. "Die Gespräche sind absolut anonym, da darf kein Dritter dabei sein." Auch die Telefonnummer der Anrufer werde unterdrückt. "Wenn es mal ganz schlimm wird und Gefahr in Verzug droht, kann ich eine Supervisorin informieren. Die entscheidet dann, ob man die Polizei oder andere Helfer informiert." So eine Situation hat der Ehrenamtler in seinen Schichten zum Glück noch nie erlebt.

Zuhören und Empathie zeigen

Jens Stippkugel ist vor 15 Jahren zum Remscheider Kinder- und Jugendtelefon gekommen. "Ich konnte schon in der Schule immer gut zuhören – und war auch damals schon verschwiegen." Als er einen Aufruf sah, dass hier ehrenamtliche Helferinnen und Helfer gesucht werden, hat sich der kaufmännische Angestellte sofort gemeldet. Ein halbes Jahr lang machte er eine Fortbildung – und hat seitdem regelmäßige 3-Stunden-Schichten. Was er inzwischen auch durch eine lange Praxis gelernt hat, ist Zuhören, Empathie zeigen, Hilfsmöglichkeiten durchgehen. "Am besten ist es, wenn die Anrufenden selbst auf eine Lösung des Problems kommen. Wenn sie bei uns angerufen haben, ist der erste große Schrecken oft schon etwas abgemildert."

Nicht nur Notensorgen

Doch der Notenstress ist bei Weitem nicht das einzige Problemfeld, warum Kinder und Jugendliche bei der Nummer für Kummer anrufen. "Es können die unterschiedlichsten Probleme sein. Manchmal geht es um solche Themen wie Missbrauch, oft in der Familie. Mobbing ist ein Thema, aber auch wenn jemand von der Freundin oder dem Freund verlassen wird."

80 solcher Sorgentelefone gibt es deutschlandweit – sie alle sind unter derselben Nummer kostenlos zu erreichen – jeweils von 14 bis 20 Uhr. Wer dann wo das Telefon abhebt, hängt davon ab, wo gerade jemand frei ist. Das bedeutet, niemand weiß vorher, ob seine Beraterin oder sein Berater in München, Remscheid oder sonstwo sitzt. Für Jens Stippkugel bedeutet das, sobald er das Telefon auflegt, "wird es sofort wieder klingeln – irgendwoher aus Deutschland. Ein bisschen wie im Call Center."

Ohne Rettersyndrom

Wie viele Sorgentelefonate er selbst schon geführt hat, weiß Jens Stippkugel gar nicht. Oft erfährt er auch gar nicht, ob sein Rat oder sein Zuhören geholfen hat. Aber darum gehe es auch nicht immer. "Mit einem Rettersyndrom sollte man nicht ausgestattet sein. Denn bei vielen Kindern oder Jugendlichen sei gar nicht klar, ob ihre Problem kurzfristig zu lösen sei."

Manchmal macht ihn das traurig, denn auch manche Erzählungen seiner Anruferinnen und Anrufer seien nur schwer zu ertragen. Aber klar ist auch: "Wenn mich das durchweg belasten würde, würde ich es nicht mehr machen," sagt er – und drängt den Besucher sanft aus dem Büro. Denn gleich beginnt seine Schicht – "und da wird wegen der Zeugnisausgabe heute bestimmt einiges los sein".