Die Kitaverbände in Nordrhein-Westfalen fordern von der Politik mehr Entlastungen. "Die Fachkräfte sind seelisch und körperlich an ihrer Belastungsgrenze", sagte Maren Kremer, Chefin des Verbands für Kitafachkräfte NRW. Aktuelle Notstände beim Personal sind nach Aussagen der Verbände dafür verantwortlich, dass die Aufsichtspflicht nicht mehr gewährleistet werden kann.
So viele Kita-Fachkräfte fehlen in NRW
In NRW fehlen laut einer kürzlich veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung im gerade begonnenen Jahr mehr als 100.000 Kita-Plätze und rund 24.000 Erzieherinnen und Erzieher. "Das ist in doppelter Hinsicht untragbar: Die Eltern werden bei der Betreuung ihrer Kinder nicht unterstützt, während Kindern ihr Recht auf professionelle Begleitung in ihrer frühen Bildung vorenthalten wird", sagte Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung.
Laut Bertelsmann-Studie werden in NRW bislang 72 Prozent der Kita-Kinder in Gruppen betreut, deren Personalschlüssel nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen entspricht. In den Gruppen der unter Dreijährigen sei aktuell eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft für fast vier ganztagsbetreute Kinder verantwortlich. Die Bertelsmann-Stiftung empfehle aber eine Eins-zu-drei-Betreuung. Für die Altersgruppe ab drei sollte der Personalschlüssel aus Sicht der Stiftung nicht schlechter als 1 zu 7,5 sein.
Bereits in vergangenen Erhebungen seien Probleme festgestellt worden, so Verbandschefin Kremer, "doch Lösungen wurden nicht angesteuert". Oft sei einfach nicht genug Personal da, um die Fürsorgepflicht zu gewährleisten. "Eine Kollegin ist allein in einer Gruppe mit 15-20 Kindern, in der Gruppe nebenan genauso. Dann muss ein Kind gewickelt werden ...", nannte Kremer als Beispiel.
Mehr Personal, mehr Kita-Plätze
Auch der Sprecher des Deutschen Kitaverbandes (DKV) NRW, Marcus Bracht, warnte vor langfristigen Folgen durch den "dauerhaften Personalmangel". Dieser führe dazu, dass Fachkräfte den Betreuungsansprüchen nicht mehr gerecht werden können und die Branche verlassen. In der Landeshauptstadt Düsseldorf sind laut Angaben der Stadt "trotz aller Anstrengungen noch mehr als 100 Stellen nicht besetzt". Da Personal fehle, sei es oft schwer, neue Gruppen zu öffnen.
"Insgesamt könnten in Düsseldorf 900 Kinderbetreuungsplätze mehr angeboten werden, wenn auskömmliches Personal da wäre", so ein Sprecher. Auch in Köln ist der Personalmangel nach Aussagen einer Sprecherin spürbar. Insgesamt 1.503 Betreuungsplätze würden fehlen. Kita-Schließungen, Gruppenschließungen und reduzierte Betreuungszeiten seien Konsequenzen des Personalmangels.
In Dortmund sei es ebenfalls "zu Betreuungseinschränkungen, beispielsweise durch eine Verkürzung der Betreuungszeit" gekommen, wie eine Sprecherin der Stadt mitteilte. Die Versorgungsquote der bis zu Dreijährigen liegt in der größten Stadt im Ruhrgebiet laut einer vergangenen Erhebung der Stadt bei rund 38 Prozent. Der Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtungen (LEB) in NRW wird laut Angaben einer Sprecherin fast täglich wegen Betreuungsengpässen und Einrichtungsschließungen kontaktiert.
Bracht: Kita-System vor "Kollaps" bewahren
Von der Politik fordern die Verbände nun mehr Entlastungen. "Neue und innovative Konzepte in der Stellenbesetzung mit mehr Verantwortung bei Trägern und Kitas sind dringend notwendig", sagte Bracht. Für die Überbrückungszeit seien beispielsweise Quereinsteiger eine Lösung. "Natürlich müssen Nicht-Fachkräfte ausgebildet und begleitet werden und sie können nicht fachlich mit Fachkräften gleichgesetzt werden - aber sie stehen kurzfristiger zur Verfügung, um das System Kita vor dem Kollaps zu bewahren."
Auch der LEB sieht in dem Quereinstieg eine deutliche Erleichterung für das System. In einem Ende Dezember veröffentlichten Brief des Familienministeriums hatte Ministerin Josefine Paul (Grüne) Stellung zur prekären Situation bezogen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, seien bereits erste Schritte einer Fachkräfte-Offensive getan worden, etwa mit einer neuen Koordinierungsstelle zum Fachkräfteausbau in Kitas. Konkreter wurde die Ministerin nicht - es sei ein großes Bündel an Maßnahmen nötig, um langfristig Fachkräfte zu gewinnen. Für den DKV bieten die Aussagen der Ministerin aber "kaum Zuversicht für die Zukunft".