Diskussionskultur im Bundestag: "Der Ton ist rüpelhafter geworden"

Stand: 25.03.2025, 14:18 Uhr

Der Ton im Bundestag ist oft rau und populistisch aufgeheizt. Solange die AfD ihr Verhalten nicht ändere, werde das auch so bleiben, sagt der Politologe Oliver Lembcke von der Ruhr-Universität Bochum im Interview mit dem WDR 5-Morgenecho.

WDR: Sehen und hören auch Sie - verglichen mit früheren Debatten im Bundestag - eine zunehmende verbale Rücksichtslosigkeit?

Politikwissenschaftler Oliver Lembcke | Bildquelle: RUB/Kramer

Oliver Lembcke: Ja, der Ton ist rauer geworden, beleidigender geworden, geradezu rüpelhafter. Es wird gepöbelt und der Gegner wird runtergemacht und vorgeführt – das gehört jetzt mittlerweile zum Repertoire. Das ist natürlich maßgeblich auch auf die AfD zurückzuführen, die diesen Ton eingeführt hat und auch ganz gut davon lebt.

WDR: In der vergangenen Legislatur haben Abgeordnete der AfD die meisten Ordnungsrufe bekommen. Im neuen Bundestag wird ein knappes Viertel der Abgeordneten von der AfD sein. Was heißt das für künftige Debatten?

Lembcke: Ich denke, solange die AfD die Strategie der Delegitimierung des Parlaments, der Institution, aber auch der anderen Parteien, verfolgt, wird das so weitergehen. Und dadurch, dass man jetzt mehr Abgeordnete hat, hat man auch mehr Redezeit, mehr Geld, mehr Personal, mehr Vorbereitung – also gewissermaßen mehr vom selben.

WDR: Aber jetzt hören wir auch, wie Politikerinnen und Politiker, die nicht Mitglieder der AfD sind, die Tonlage verschärfen. Wie gelingt es da, verbal wieder abzurüsten?

Lembcke: Ich glaube, die TV-Debatten haben ein bisschen darauf ein Licht geworfen. Ich glaube, dass die Parteien insgesamt, und die Spitzenkandidaten in den TV-Debatten auch, noch lernen müssen, mit Populisten umzugehen. Aber manchmal haben sie es auch schon ganz gut gemacht. So eine Mischung aus Sachlichkeit, aber auch Attacke, argumentieren und ignorieren, wo es geboten ist – das ist schwierige Melange, das gebe ich zu. Aber man soll sich nicht wegducken, nicht scheuen. Also man kann auch gerne selber ein bisschen kräftiger reden, sofern man immer wieder in der Lage ist, die Grenze zwischen Sachlichkeit und Unfug zu ziehen.

WDR: Man hat das Gefühl, dass sich die fehlende Diskussionskultur im Bundestag auch im Alltag widerspiegelt.

Lembcke: Der Bundestag ist jetzt auch keine Erziehungsanstalt für den Alltag. Ich glaube, dass sich die Probleme der Verständigung, der Kommunikation, auch in einer bestimmte Art und Weise entwickelt haben, wozu unter anderem sicherlich auch die eigene Sprache in den sozialen Medien eine Rolle spielt.

Ich glaube, dass der Bundestag sich weniger als ein Vorbild begreifen sollte, sondern sich erst mal um sich selber kümmern muss – nämlich klare Sprache und Verständlichkeit vor allem auch wiederzuentdecken. Also, dass man sich nicht hinter der Technizität eines Arguments verschanzt und auch nicht immer Notwendigkeiten ins Felde führt, sondern dass man wirklich offen spricht und für eigene Programme wirbt. Da ist noch deutlich zuzulegen bei vielen Abgeordneten.

Bundestag: "Ton rüpelhafter geworden" WDR 5 Morgenecho - Interview 25.03.2025 07:27 Min. Verfügbar bis 25.03.2026 WDR 5

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WDR: Woran liegt es, dass das verloren gegangen ist? Das gab es ja mal stärker.

Lembcke: Ich glaube, das ist verloren gegangen, weil natürlich die Berufspolitiker-Rate auch deutlich nach oben gestiegen ist. Dass auch die Verrechtlichung gewissermaßen der Sprache eine gewisse Rolle dabei spielt. Und Eigenständigkeit und Urteilskraft, was ja Abgeordnete unbedingt auch mitbringen sollten, vielleicht etwas ist, woran es so ein bisschen mangelt. Nicht Kauzigkeit, aber Typen, Personen, Leute, die für sich selber einstehen können, die auch schon selber was im Leben bewirkt haben, an denen man sich auch ein Beispiel nehmen kann. Daran mangelt es ein bisschen beim Personal.

Und wenn das einzieht, dann gibt es glaube ich auch eine Möglichkeit, wieder eigene Tupfer zu setzen, wo die Leute dann auch bereit sind hinzuhören. Authentizität, das ist glaube ich wirklich der entscheidende Punkt bei der ganzen Sache.

WDR: Die AfD wurde von 20 Prozent der Bevölkerung gewählt. Wäre es klüger, sie mehr einzubinden?

Lembcke: Also grundsätzlich bin ich schon ein Freund davon, dass man zu Spielregen zurückkehrt, die für alle gelten sollen. Aber das würde ich eben nicht nur zu einer Frage derjenigen machen, an die das immer wieder gerichtet wird, nämlich alle anderen Parteien außer der AfD. Ich finde, die AfD muss selber mal beweisen, dass sie dazu in der Lage ist. Es geht um Vertrauen, das ist eine Schlüsselkategorie des deutschen Parlamentarismus. Und Wahlen im Parlament, durch die Geschäftsordnung organisiert, sind auch Vertrauensbeweise. Vertrauen kann man schenken, wenn die Person es auch verdient.

Ich würde schon sagen, dass diese Diskussion nicht immer nur die Klugheitsregeln für die anderen Parteien ansprechen sollte, sondern: Was macht eigentlich die AfD ihrerseits, um wieder Vertrauen zu gewinnen und tatsächlich als akzeptabel in manchen dieser Ausschüsse oder Funktionen zu erscheinen? Jetzt würde ich nun nicht gerade mit dem Kontrollgremium anfangen, da warten wir mal das Gutachten des Verfassungsschutzes ab, sondern mit den Ausschüssen, als Vorsitzende. Dass man da zeigt: Dieser Mann steht für diese Politik in glaubwürdiger Weise – diese Frau hat ein bestimmtes Ergebnis vorzuweisen. Das wäre ja schon mal ein Anfang.

Dieses Interview lief am 25.03.2025 im WDR 5-Morgenecho. Es wurde für diese Online-Fassung sprachlich leicht angepasst und gekürzt.