Spurenleser in einer Höhle

11. Mai 2017 - Erster internationaler Kongress der Spurenleser in Köln

Stand: 11.05.2022, 10:20 Uhr

Kölner Archäologen haben Wissenschaftler und Angehörige indigener Völker aus drei Erdteilen eingeladen - zum weltweit ersten Spurenleser-Kongress. Es ist der Versuch, eine einmalige Kulturfähigkeit der Menschheit, die vom Aussterben bedroht ist, für die Zukunft zu bewahren.

Zum ersten Mal haben Tsamkao Cigae, Xu Kunta und Xi Kao ihre Heimat in Namibia verlassen. Sie gehören zum Volk der San, bei dem die vielleicht besten Spurenleser der Welt leben. Manche San jagen heute noch traditionell mit Pfeil und Bogen. Seit ihrer Kindheit können die drei "Tracker" perfekt die Fährten von Tieren und Menschen lesen. Ein für das Leben in der Kalahari entscheidendes Wissen, das jüngere Generationen kaum noch erlernen.

Kongress der Spurenleser beginnt in Köln (am 11.05.2017)

WDR Zeitzeichen 11.05.2022 14:57 Min. Verfügbar bis 11.05.2099 WDR 5


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Auf Einladung zweier Kölner Wissenschaftler sind die drei San-Männer nach Südfrankreich geflogen. Dort haben Menschen vor 17.000 Jahren tief in einer Höhle faszinierende Kunst hinterlassen – und Fußspuren im Lehm. Von der Forschung konnte deren Entstehung bisher nur rituell gedeutet werden.

Wie bekommt man mehr Informationen zu den Fußabdrücken? Diese Frage stellten sich Andreas Pastoors und Tilman Lenssen-Erz, beide Experten für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Köln. Eine Frage, die die Archäologen zum San-Volk in die Kalahari führte.

Am Boden lesen, was wirklich war

Am Fuß der Pyrenäen kriechen Tsamkao Cigae, Xu Kunta und Xi Kao durch die Urzeit-Höhle Tuc d'Audoubert. "Manche Passagen sind nicht größer als ein Din-A4-Blatt", erzählt Andreas Pastoors, "da muss man durch." Ganz am Ende erreichen sie die einzigen erhaltenen Skulpturen der Altsteinzeit und darum herum etwa 170 Fußabdrücke.

Bruchkanten, Risse, Tiefe der Mulden – aus diesen unscheinbaren Details lesen die drei San die wahre Entstehungsgeschichte der Spuren. "Einige Fersen sind groß, andere klein: Es muss ein Mann mit einem Jungen gewesen sein“, erklären sie nach gründlicher Prüfung. Der Mann habe mehrfach Lehm geholt. "Dadurch wurde er schwerer und seine Fersen bohrten sich tiefer ein.

Indigenes Wissen contra Archäologie

So widerlegen die San die seit hundert Jahren vertretene These der Wissenschaft von einem Tanzritual. In allen vier Höhlen, die sie untersuchen, entdecken sie neue Fährten und interpretieren bereits bekannte völlig neu. Meist fällt ihr Fazit nüchtern aus: Keine geheimnisvollen Rituale, sondern Spuren vom steinzeitlichen Alltag. Ein Filmteam von Arte begleitet das Projekt und erzählt davon in einer eindrucksvollen 90-minütigen Doku.

Die wichtigste Etappe des Spurenleser-Projektes von Pastoors und Lenssen-Erz beginnt am 11. Mai 2017. Zur "Ersten Internationalen Konferenz über prähistorische Menschenspuren" begrüßen sie in Köln 40 Gäste aus fünf Kontinenten. Neben Fachwissenschaftlern und den drei San sind auch Vertreter der australischen Aborigines, kanadischer Inuit und Indigene vom Volk der Batek aus Malaysia angereist.

Kritik am wissenschaftlichen Nutzen

Fußspuren auf dem Parcours der Uni

Fußspuren auf dem Forschungsparcours der Uni Köln

Ziel des außergewöhnlichen Kongresses ist es, das uralte Wissen indigener Menschen zu erhalten. "Außerdem wollen wir die archäologischen Wissenschaften überzeugen, dass das eine seriöse Sache ist“, sagt Andreas Pastoors. Denn von akademischer Seite gibt es durchaus Kritik und Zweifel am wissenschaftlichen Nutzen. Ein Professor spricht gar von "Paleo-Poesie" und fordert überprüfbare Beweise für die Deutungen der San-Spurenleser.

Eine weitere Höhlen-Expedition mit den drei San 2018 liefert erste wissenschaftlich messbare Belege für deren Können. In der Höhle von Aldène identifizieren sie Spuren von 26 Individuen, die in Messreihen bestätigt werden können.

So sind durch die Idee der beiden Kölner Archäologen nicht nur die Chancen für den Erhalt dieses uralten Menschheitswissen gestiegen; sie hat auch die Forschung nachhaltig verändert. "Ohne dieses Erleben und Lesen von Fußabdrücken ist es eigentlich nicht mehr möglich, an solche Situationen heranzugehen", so das Fazit von Andreas Pastoors.

Autor des Hörfunkbeitrags: Thomas Pfaff
Redaktion: Matti Hesse

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 11. Mai 2022 an den Kölner Kongress der Spurenleser. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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