Die Volkskammer in der DDR

9. Januar 1952 - DDR-Volkskammer schlägt gesamtdeutsche Wahlen vor

Stand: 02.01.2022, 11:15 Uhr

Am 9. Januar 1952 schlägt die DDR-Volkskammer der BRD die "Abhaltung freier gesamtdeutscher Wahlen" vor. Ziel sei die Bildung eines einheitlichen demokratischen Deutschlands. Ernst gemeintes Angebot oder bloß ein Propagandatrick der Machthaber in Moskau und Ostberlin?

Volkskammer schlägt gesamtdeutsche Wahlen vor (am 09.01.1952)

WDR Zeitzeichen 09.01.2022 15:00 Min. Verfügbar bis 10.01.2099 WDR 5


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Im Jahr 1952 ist die deutsche Teilung noch ganz frisch: BRD und DDR existieren seit drei Jahren, die Mauer ist noch nicht gebaut. Deutschland wieder zu vereinen, ist das oberste Ziel der westdeutschen Regierung, das betont Kanzler Konrad Adenauer immer wieder. Es steht sogar in der Verfassung.

Die erste konkrete Initiative zu Wiedervereinigung kommt aber aus dem Osten, als die DDR-Volkskammer am 9. Januar 1952 gesamtdeutsche Wahlen vorschlägt. Es ist ein Vorschlag, den der Westen skeptisch sieht und am Ende sogar ablehnt. Dabei klingt das ausgearbeitete Wahlgesetz vielversprechend. Es ist die Rede von Freiheit der politischen Betätigung für jeden einzelnen, vom Recht auf freie Meinungsäußerung und von einer freien Wahl nach demokratischen Regeln.

Suspekte Avancen aus dem Osten

Diesem Entwurf gehen bereits Annäherungsversuche des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl voraus, der immer wieder Appelle an die Bundesrepublik richtet. Auch DDR-Präsident Wilhelm Pieck schreibt einen Brief an Bundespräsident Theodor Heuss. Zuletzt schaltet sich Josef Stalin höchstpersönlich ein. Der sowjetische Diktator wendet sich mit seinem Vorschlag, Verhandlungen über ein vereintes Deutschland aufzunehmen, allerdings direkt an Gesprächspartner auf Augenhöhe: die Alliierten, die damals in der BRD das Sagen haben.

Wie der Bundesregierung sind auch den Siegermächten USA, Großbritannien und Frankreich die Avancen aus dem Osten suspekt. Selbst ohne das Engagement von Stalin ist eindeutig, von wem die Initiative ausgeht. Denn nur mit Zustimmung des großen Bruders kann die DDR-Führung dermaßen in die Offensive gehen.

Doch Adenauer möchte nicht verhandeln. "Anders wäre es, wenn wir mit frei gewählten Vertretern der Bevölkerung der Sowjetzone zu tun hätten", so der Kanzler. Er lehnt die DDR generell ab, sie sei ein "illegitimes Unrechtsregime".

Deutschlandvertrag statt gesamtdeutsche Wahl

Allerdings gibt es auch andere Töne: Selbst Weggefährten aus der eigenen Partei stehen dem Angebot der DDR offener gegenüber. Sie möchten ausloten, wie weit man gehen und wie man der ostdeutschen Bevölkerung womöglich helfen könnte. Wie ernst es dem Osten mit der frühen Wiedervereinigung wirklich ist, bleibt unklar. Denn die Entscheider im Westen halten den Vorschlag der Volkskammer schlicht für einen Versuch, die Westintegration der Bundesrepublik zu stören, die Adenauer mit ganzer Kraft vorantreibt. Bloße Verhandlungen mit der DDR würden diese Ziel gefährden.

Stattdessen schließen die Bundesrepublik und ihre Besatzer im Mai 1952 den Deutschlandvertrag, mit dem die BRD einen Großteil ihrer Souveränität zurückbekommt. Es ist auch ein eindeutiges Signal an den Osten, das Fakten schafft - und die Wiedervereinigung um fast 40 Jahre verschiebt.

Autor des Hörfunkbeitrags: Thomas Klug
Redaktion: Christoph Tiegel und Ronald Feisel​

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