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Buchcover: “Café Marx“ von Philipp Lenhard

Lesefrüchte

“Café Marx“ von Philipp Lenhard

Stand: 21.06.2024, 14:08 Uhr

Ein Treppenwitz der Wissenschaftsgeschichte: Ausgerechnet steinreiche Kapitalisten aus dem liberalen jüdischen Bürgertum der Stadt Frankfurt finanzierten in den 1920er Jahren mit ihrem Geld die Gründung des marxistischen "Instituts für Sozialforschung" (IfS).

Am 22. Juni 1924 wurde in Frankfurt am Main das "Institut für Sozialforschung", kurz IfS, feierlich eingeweiht. Der Name ist zum Markenzeichen einer kritischen, durch marxistische Theorie inspirierten Sozialwissenschaft geworden, für die die Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno stehen. Doch – Ironie der Geschichte! – es waren ausgerechnet steinreiche Kapitalisten aus dem liberalen jüdischen Frankfurter Bürgertum, deren immenses Vermögen die Gründung des IfS möglich machte und auch das Überleben des Instituts und vieler seiner Mitarbeiter im Exil während der NS-Zeit sicherte.

Der im kalifornischen Berkeley lehrende Historiker Philipp Lenhard, als Fachmann ausgewiesen schon durch eine Biographie des Soziologen Friedrich Pollock, hat jetzt ein gewichtiges Buch über das IfS vorgelegt: "Café Marx. Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zur Frankfurter Schule". Darin beschreibt der Historiker in fünf großen Kapiteln die Geschichte des Instituts – von der Vorgeschichte der Gründung 1923 über das Ende der Weimarer Republik, die Flucht vor den Nationalsozialisten und die Zeit des Exils bis zur Rückkehr Anfang der 1950er Jahre und den Wiederaufbau in der Mainmetropole.

Kursorisch behandelt Philipp Lenhard auch die Auseinandersetzung mit den studentischen Rebellen von 1968 und die weitere Entwicklung der "Kritischen Theorie" durch die philosophischen Erben von Horkheimer, Adorno und Marcuse. Wenn der Historiker vom „Institut“ spricht, dann meint er sowohl einen spezifischen Ort – das Gebäude, in dem Wissenschaftler, Studenten und marxistische Aktivisten zusammentrafen -, als auch den Zusammenhang von Theorien und Personen.

"Austausch" und "Konflikt" lauten die entsprechenden Stichworte. Lenhard stellt jedem seiner Kapitel einen szenischen Einstieg voran, der auf historischen Quellen beruht. Seine Darstellung wird dadurch lebendig, man kann sich z.B. gut vorstellen, wie es war, als Anfang der 1930er Jahre im Café Laumer im Frankfurter Westend die linke Entourage um Horkheimer auf den liberalen Soziologen Karl Mannheim und dessen Schüler Norbert Elias stieß, die sie für Rechte hielten.

Philipp Lenhard würdigt in seinem spannenden Buch nicht nur die bekannten Größen des IfS. Die Studie setzt auch den Frauen ein Denkmal, die seinerzeit dort arbeiteten und sich z.B. als Bibliothekarinnen ein Entrée in die akademische Gesellschaft verschafften. Auch die promovierte Chemikerin Margarete Adorno wird von Lenhard als selbstbewusste Persönlichkeit vorgestellt und nicht bloß als Gattin ihres nicht gerade uneitlen Ehemanns. – Alles in allem ist Lenhard mit "Café Mårx" ein großer Wurf gelungen.

Eine Rezension von Wolfgang Stenke

Literaturangaben:
Philipp Lenhard: Café Marx. Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zur Frankfurter Schule
C.H. Beck, 2024
624 Seiten, 34 Euro.