Seit der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu regt sich in der türkischen Gesellschaft Widerstand gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und die Regierung.
Auch am vergangenen Wochenende sind wieder zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen, mehrere Tausend waren es zuletzt in der türkischen Stadt Samsun. Der Protest schwappt laut Beobachtern immer mehr in die Mitte der Gesellschaft - weg von den jungen Menschen und Studierenden.
İmamoğlu will als Spitzenkandidat der Oppositionspartei CHP bei der nächsten Präsidentschaftswahl antreten. Er gilt als stärkster politischer Rivale Erdoğans. Seine Verhaftung sieht er selbst als politisch motiviert, um ihn von der Wahl abzuhalten. Die offiziellen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen ihn lauten: Korruption, Geldwäsche und Bestechung.
Der Journalist Ceyhun Kara aus der türkischen Redaktion bei WDR COSMO spricht im Interview darüber, welchen Einfluss das alles auf die türkische Community in NRW hat.
Türkische Community in NRW: Proteste "ein großes Thema". WDR 5 Morgenecho - Interview. 14.04.2025. 06:29 Min.. Verfügbar bis 14.04.2027. WDR 5.
WDR: Wie sehr beschäftigt die türkischstämmigen Menschen, die hier in Nordrhein-Westfalen leben, die Situation in der Türkei?
Ceyhun Kara: Seit 25 Tagen gehen die Leute in der Türkei auf die Straße und protestieren. Und für viele Menschen hier in NRW, die Familie und Freunde in der Türkei haben, ist das natürlich ein großes Thema. Also in Städten wie Köln, Berlin, Hamburg organisieren auch CHP-nahe Vereine Demos. Und weil unter den türkeistämmigen Migranten die politischen Diskussionen zunehmen, schauen sie jetzt viel öfter Nachrichten oder checken Newsportale, um auf dem Laufenden zu bleiben.
WDR: Diesen Konflikt gibt es ja eigentlich schon lange - auf der einen Seite die Erdoğan-Anhänger, auf der anderen Seite die Kritiker. Hat das jetzt nochmal eine andere Dimension erreicht? Spricht man mehr in den Familien darüber?
Kara: Ja, wir kennen ja die Situation so kurz vor den Wahlen. Aber diesmal ist das schon anders. Wie gesagt: Seit 25 Tagen sind hunderttausende Menschen - vor allem auch junge Leute - non-stop auf der Straße. Tausende wurden festgenommen. Die politische Spannung ist auf Anschlag, kann man sagen. Die Frage "Für oder gegen Erdoğan?" sorgt jetzt sogar innerhalb von Familien und unter guten Freunden für Streit. Und in den sozialen Medien wird zum Thema so richtig heftig gestritten. Also ohne Filter und Rücksicht.
WDR: Wie wird der Istanbuler Bürgermeister İmamoğlu, der jetzt in U-Haft sitzt, gesehen? Welche Rolle spielt er für die türkischstämmigen Menschen in NRW?
Kara: Als İmamoğlu am 19. März festgenommen wurde, hat die CHP das sofort als riesige Ungerechtigkeit dargestellt. Die Proteste gingen dann sofort los. Seit zwei Jahren zeigen alle Umfragen, dass İmamoğlu Erdoğan bei einer Präsidentschaftswahl überholen könnte. Und viele sehen in seiner Festnahme einen klaren Rechtsbruch von Erdoğan. Manche sprechen mittlerweile sogar von einem Märtyrer-Helden. Aber auf der Straße verändert sich gerade etwas: Immer mehr junge Leute sagen, wir gehen nicht nur für İmamoğlu auf die Straße, sondern wir kämpfen für ein freies, gerechtes und demokratisches Land.
WDR: Wie ist das für die Erdoğan-Anhänger?
Kara: Erdoğan-Fans glauben, dass İmamoğlu schuldig ist, weil sie ihre Infos aus den regierungsnahen Medien kriegen. Dort läuft die ganze Zeit dieselbe Leier: Also İmamoğlu und die anderen Festgenommenen sind angeblich kriminell. Dazu kommen im Netz noch jede Menge Verschwörungsmythen. Viele AKP-Leute basteln sich ihre Meinung dann genau aus diesen schiefen Berichten und Fake News zusammen.
WDR: Tauscht man sich denn mit den Familien, die in der Türkei leben, darüber aus? Oder hält man sich vielleicht auch zurück aus Sorge, dass das irgendwelche politischen Folgen haben könnte - für einen selbst oder für die Familie?
Kara: Eigentlich beides. Zwischen Familien gibt es gerade ständig Gespräche über die politische Lage. Sogar Leute aus unpolitischen Familien erzählen, dass sie non-stop mit Verwandten in der Türkei reden oder diskutieren. Aber viele halten sich mit krassen Aussagen oder Posts in den sozialen Medien zurück, weil in der Türkei selbst Promis, Journalisten oder Künstler wegen ihrer Posts verhaftet wurden. Solche Meldungen machen den Leuten hier natürlich echt Angst.
WDR: Wie ist das für Sie, darüber zu berichten? Das ist ja auch ein Machtkampf, der über soziale Medien geführt wird, und es kursieren viele Fake News. Also wie geht man damit um?
Kara: Also bei "COSMO Türkisch" kämpfen wir ehrlich gesagt an zwei "Fronten". Rund 95 Prozent der türkischen TV-Sender, die man hier auch empfangen kann, machen entweder komplett regierungsfreundliche Berichterstattung oder verschweigen alles, was kritisch ist. Und in den sozialen Medien, da explodieren natürlich die Fake News, wilde Verschwörungserzählungen. Und wir bei "COSMO Türkisch" versuchen, in unseren unabhängigen Beiträgen genau diese Mauer aus Schweigen und Fake News zu durchbrechen. Wir kriegen auch eine ganze Welle an Kritik, Beleidigung etc. ab. Aber gleichzeitig schreiben uns viele: "Macht weiter so! Wir vertrauen euch." Und das gibt uns echt Rückenwind.
Proteste in der Türkei: "Breite Front gegen Regierung". WDR 5 Morgenecho - Interview. 14.04.2025. 07:03 Min.. Verfügbar bis 14.04.2026. WDR 5.
Das Interview führte Andrea Oster am 14.04.2025 im WDR 5 Morgenecho. Für die Online-Version wurde es sprachlich leicht angepasst und gekürzt, ohne den Inhalt zu verändern.
Unsere Quelle:
- Interview mit COSMO-Journalist Ceyhun Kara im WDR 5 Morgenecho
Kommentare zum Thema
eure Berichterstattung über die Türkei ist nur noch lächerlich. 99% der Deutschtürken glaubt eure Lügen schon lange nicht mehr.
Ist ja mal wieder typisch für autokraten Fans. Alle die gegen Erdogan sind, sind schuldig, nur weil ein selbst ernannter Sultan vom Bosporus namens ErdoWahn es so diktiert in seinen Medien. Warum nur keiner merkt, dass ca. 90% der Medien der radikal islamischen Akapeh angehören? Und wie schlimm muss die türkische Wirtschaft noch werden, damit man endlich befreit, dass ErdoWahn einfach schlecht für die Türkei ist .... Achja... Auch wegen der schlechten Wirtschaft finden die einen Sündenbock. Aber nicht in den Reihen der Akapeh!
Sie verdrehen hier bewusst Tatsachen. Niemand beschuldigt hier jemand nur weil er/sie gegen irgend jemand ist. Sondern das Vorgehen und die bewusste Schürung zum Chaos. Ich habe dutzende Erdogangegner in meiner Verwandtschaft und keiner davon randalliert. Jeder bekundet seinen Ärger wie er möchte oder wählt auch wen er möchte. Es ist ein Unterschied ob man Demonstriert oder bewusst versucht Eskalationen zu schüren und fördern. Die grösste Schwäche der Opposition ist, dass sie keine Optionen bieten und keine Plan haben. Und glauben Sie mir, das wird auch von den wahren Oppositionellen kritisiert, die aber in ihren eigenen Reihen nicht zu Wort kommen. Wenn Sie Autokraten suchen, dann suchen Sie diese bitte bei der schwachen Opposition, die keine andere Meinung zulassen. Und nein, ich bin kein Erdoganfan, kein Parteifan, kein Fussballfan oder Fan von sonst irgendwas. Ich erkenne lediglich nur die Doppelmoral in hiesigen Medien und auch Politikern und bekunde das. That‘s it.
angenommen die Behauptung stimmt mit den 90% kontrollierten Medien. Was glauben Sie wer kontrolliert die Medien in der westlichen Welt? Wenn Sie glauben, die sind neutal und unabhängig, dann hoffe ich für Sie, dass sie einfach nur naiv sind. Recherchieren Sie einfach mal gründlich. Sie wünschten es wäre wenigstens, ihre eigene Regierung.
Also, in dem einen Land ist die Opposition gut und die Staatsmedien schlecht, in dem anderen Land ist die Opposition schlecht und die Staatsmedien gut. Achn e, die sind hier ja unabhängig, daher keine Sorge. Immer schön grade so wie es passt. Und mal wieder mit Doppelstandard. Auf die Hintergründe gehen wir mal wieder nicht ein. Weiter so, WDR! Die Welt ist ja so schön einfach.
Nein, Staatsmedien sind nicht in einem Land gut und in einem Land schlecht. Neutrale unabhängige Medien sind gut. Demonstranten und Journalisten einschüchtern und einsperren ist schlecht. Um das zu verstehen braucht man keine Politik studiert zu haben. Sondern man braucht nur nachzudenken.
Edgar, ich würde ihnen Recht geben, wenn es wirklich unabhängige Journalisten wären, welche keine Agenda für ausländische Geheimdienste bedienen oder zumindest deren Handlanger sind. Als Journalist kann sich jeder benennen, aber oftmals stecken dahinter Geheimdienstagenten oder deren Handlanger. Es gibt dutzende wenn nicht hunderte „Lawrences“ gegen die vorgegangen werden muss. Und glauben Sie mir, wirklich friedlich demonstrierende Bürger haben nichts zu befürchten. Wer aber Gewalt einsetzt und Staatsbeamte angreift, zum Teil auch mit ganz üblen Mitteln (Säureangriffe auf Polizisten), der muss sich nicht wundern, wenn der Staat auch dagegen was unternimmt. Das wäre in keine anderem Land anderst. Aber wir wissen es es ja zu Gut, dass man immer mit verschiedenen Ellen misst, wenn es einem so passt. U d das ist leider im sogenannten Westen zur Gewohnheit geworden! Mit diesem Vorgehen isolieren sie sich vom Rest der Welt, das nicht ausschliesslich aus Europa/USA/Israel besteht.
Die kritischen Lehrer die versetzt werden sind auch alles ausländische Agenten? Hier geht es nicht um Türkei gegen den Rest der Welt. Hier möchten Türken eine gerechte Regierung die ihr Volk nach vorne bringt.