Studiogespräch: Roderich Kiesewetter (CDU), Mitglied Auswärtiger Ausschuss
Aktuelle Stunde . 01.03.2025. 28:16 Min.. UT. Verfügbar bis 01.03.2027. WDR.
Verteidigungspolitiker fordert: "Europäische Sicherheit neu organisieren"
Stand: 01.03.2025, 20:15 Uhr
Der Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wird furchtbare Konsequenzen haben, sagt CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter im WDR-Interview. Deutschland müsse jetzt ganz schnell eine handlungsfähige Regierung bekommen, um einen tragfähigen Haushalt für die Verteidigung aufzustellen.
Die verbale Auseinandersetzung zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor laufenden Kameras im Oval Office des Weißen Hauses hat international für Bestürzung gesorgt.
Roderich Kiesewetter, Oberst a.D. der Bundeswehr und Verteidigungspolitiker, der für die CDU im Bundestag sitzt, sprach im WDR von furchtbaren Konsequenzen für die transatlantische Vertrauensfrage und für unsere Sicherheit. Es gehe jetzt darum, die europäische Sicherheit neu zu organisieren.
WDR: Was war Ihr erster Gedanke, als sie gestern Abend die Nachricht aus Washington bekommen haben?
Roderich Kiesewetter: Das ist das Ende des regelbasierten Westens. Wir haben eine Zäsur wie am 9. November 1989, wo die Epoche des regelbasierten Westens begann. Und diese Epoche wurde gestern beendet. Mit furchtbaren Konsequenzen für die transatlantische Vertrauensfrage und für unsere Sicherheit.
WDR: Wird es zum endgültigen Bruch der USA mit der Ukraine - inklusive Stopp aller Militärhilfen - kommen?
Kiesewetter: Diese Frage sollten wir nicht lange diskutieren, sondern als Europäer rasch handeln. Jetzt geht es um die großen Fragen, nämlich darum, wie wir europäische Sicherheit organisieren. Noch beschützt uns die Ukraine, indem sie Russland vor einem weiteren Ausgreifen nach Moldau und den baltischen Staaten - erklärte Angriffsziele Russlands seit 2021 - schützt. Aber dieser Schutz kann sehr rasch vorbei sein, wenn wir die Ukraine nicht ausreichend unterstützen. Und jetzt geht es darum, europäisch Sicherheit zu organisieren, bis hin zur Frage, wie wir möglicherweise den US-Nuklearschutz ersetzen und wie wir gegenseitig unsere Rüstungsindustrien in Europa deutlich beschleunigen.
WDR: Könnte Europa denn den Wegfall der US-Unterstützung für die Ukraine komplett kompensieren?
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CDU-Politiker Roderich Kiesewetter
Kiesewetter: Europa muss es. Wenn wir es nicht tun, wird Putin uns spalten. Wir sehen ja schon erste Signale in Ungarn und in der Slowakei. Wir brauchen eine "Koalition der Willigen". Wenn wir nicht massiv in unsere Verteidigung investieren und in die Zukunft der Ukraine - auch als Teil der EU oder einer europäischen Rumpf-NATO - dann wird sich der Krieg ausweiten.
Und ein Nichthandeln wird die Kosten um ein Vielfaches treiben, es wird um ein Vielfaches teurer werden, die Ukraine nicht zu stabilisieren und in einen Scheinwaffenstillstand einzuwilligen. Denn Russland hat den Krieg vorbereitet, hat auf Kriegswirtschaft umgestellt. Obwohl wir in Europa das 15-fache des Bruttoinlandsprodukts haben, zwingt Russland uns in eine ganz schwierige Zeit. Deshalb müssen wir uns organisieren und schneller sein als Russland, was unsere Sicherheit und die Zukunft der Ukraine angeht - auch ohne Amerika.
WDR: Sie gehen also davon aus, dass wir Deutschland und Europa zukünftig ohne den militärischen Schutz der USA organisieren müssen?
Kiesewetter: Trump hat gestern - aber auch schon diese Woche im Gespräch mit Starmer - deutlich gemacht, dass er nicht bereit ist, Sicherheitsgarantien zu leisten. Er möchte die Rohstoffe der Ukraine ausplündern und das Recht des Stärkeren fördern. Er ist Teil der russischen, chinesischen, nord-koreanischen Allianz gegen die Ukraine. Er ist multipolar, also gegen die regelbasierte Ordnung, er ist für das Recht des Stärkeren. Das läuft alles gegen die Prinzipien der NATO. Er verstößt damit gegen die Werte der NATO. Damit können wir zwar politisch auf die demokratischen Partner in den USA einwirken, aber der Präsident hat Befugnisse, die er gestern mit seinen Muskeln hat spielen lassen.
Also geht es darum, dass wir Europa neu organisieren. Frankreich hat vor einiger Zeit bereits Angebote gemacht. Und es wird Zeit, dass wir ganz schnell eine handlungsfähige Regierung bekommen. Am liebsten wäre es mir, wenn Klingbeil und Merz am Montag vor die Kameras treten und sagen: 'Wir haben verstanden. Wir organisieren jetzt so schnell wie möglich einen tragfähigen Haushalt für Verteidigung, aber auch für Zivilverteidigung, für Katastrophenschutz, für entsprechende Infrastrukturmaßnahmen.' Das wäre ein Zeichen auch an unsere Bevölkerung.
Das Interview führte Martin von Mauschwitz.
Das Gespräch aus der Aktuelle Stunde vom 01.03.2025 wurde für die Online-Version sprachlich geglättet.