Es sind Zahlen, die betroffen machen: Mehrere Millionen Menschen in Deutschland sind einer Studie zufolge suchtkrank und Tausende sterben jedes Jahr an den Folgen von Alkoholkonsum und Rauchen. Mindestens ein Fünftel der Bevölkerung trinkt zu viel Bier, Wein, Sekt und Co., wie aus dem am Donnerstag vorgestellten "Jahrbuch Sucht 2025" hervorgeht. Bei manchen führt dies dazu, dass sie alkoholkrank werden.
Ist dies bei einem Elternteil der Fall, dann hinterlässt das nicht zuletzt im Leben der betroffenen Söhne und Töchter tiefe Spuren. Stephan Kosch hat das in seiner Kindheit und Jugendzeit mit seiner alleinerziehenden Mutter erlebt, wie er dem WDR erzählt.
Es fing damit an, dass er im Alter von zehn Jahren als Jüngster von vier Geschwistern hinter dem Sofa im Wohnzimmer eine Schnapsflasche entdeckte, die von Tag zu Tag leerer wurde. "Ich fand das ziemlich beunruhigend, weil ich wusste, wie Alkohol auf meine Mutter wirkt", sagt Kosch. Wenn die Mutter betrunken war, gab es Streit - und Vorwürfe, dass es an ihm - das Kind Stephan - liege, dass sie zu viel Alkohol konsumiere. "Ich war alles schuld."
Sohn wollte mit Spülmittel der Mutter den Geschmack am Schnaps verderben
Der damals Zehnjährige wollte etwas ändern - und beschloss, Spülmittel in den Schnaps zu mischen, damit das Getränk der Mutter nicht mehr schmeckt. Als er später die Flasche mit dem so durchgemischten Getränk schloss, plagte ihn das schlechte Gewissen. "Ich habe es ihr sofort gebeichtet, als sie nach Hause kam", so Kosch.
Daraufhin habe sie sich ans Fenster gestellt und geschwiegen. Dann habe sie ihn ausgeschimpft, dass er ihr "diese kleine Freude am Schnäpschen" nicht gönne. Er habe es zwar nicht benennen können, dass sie wohl eine Alkoholikerin ist. "Aber mir war klar: Der Alkohol ist ein Problem-Thema für sie", sagt Kosch.
Kam die Mutter nach Hause, habe er schon an der Art, wie sie die Tür aufmachte gemerkt, ob sie nüchtern war oder nicht. Habe sie mehrmals versucht, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, wusste Stephan Kosch: Sie hat zuviel getrunken. Und dann wurde es laut. Manchmal habe sie dann auch mit einem Suizid gedroht. "Sie nahm den Schlüssel vom Auto, schrie, dass sie jetzt vor einen Baum rasen und nie wieder kommen würde." Dann habe er, der Jüngste von allen, das Zepter in die Hand und sie beruhigen müssen.
Alkoholproblem war nie in der Familie Thema
Einmal habe es eine Situation gegeben, in der die Mutter Stephan mitnahm. "Das war eine sehr bedrohliche und schwierige Situation gewesen." Es sei in Richtung eines Kanals gegangen - "und mir war klar: sie geht da jetzt hinein und will mich mitnehmen." Aber als sie dann am Grab des verstorbenen Vaters vorbeigingen, da habe sie umgedacht. "Wir sind nach Hause gegangen und haben nie über diesen Abend gesprochen."
Überhaupt sei das Alkoholproblem der Mutter nie offen ein Thema in der Familie gewesen, selbst Verwandte wie Tanten und Onkel hätten geschwiegen. Immer wieder habe es ihm gegenüber psychische Gewalt gegeben, in dem sie ihm das Gefühl vermittelte "Du bist Schuld an meinem Unglück, an meinem Leid."
Und ihm sei klar gewesen, wenn er sich richtig verhalte, dann trinke sie nicht mehr. Entsprechend habe er sein Verhalten daran ausgerichtet: Was fühlt meine Mutter und wie muss ich mich verhalten? "Ich hatte eine enorme Verantwortung", so Stephan Kosch.
Jugendgruppe gab Halt
Halt fand er in einer Jugendgruppe, in der es auch andere Jugendliche mit einem Alkoholproblem zu Hause gab. "Da habe ich gemerkt: Ich bin nicht allein." Es habe aber auch schöne Momente mit seiner Mutter gegeben. "Sie konnte sehr liebevoll sein und hat mich immer in allem unterstützt." Auch habe sie ihm viele Freiheiten gelassen und ihm voll vertraut. Aber wenn Alkohol ins Spiel kam, wurde es für Kosch bedrückend.
Mit seinen drei Geschwistern habe er nie über die Sucht der Mutter gesprochen. Die Geschwister sind alle selbst in den Alkoholsuchtkreislauf geraten und inzwischen daran gestorben. So wie die Mutter auch. "Das ist einerseits eine schwere Belastung", gibt Stephan Kosch zu. Andererseits: "Ich habe überlebt und habe ein tolles Leben!"
Hier gibt es Hilfe
Für Menschen, die selbst nach Informationen für Kinder von suchtkranken Eltern suchen, gibt es unter anderem hier Hilfe:
Das Interview führte Meike Hendriksen für die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen (Sendung vom 24.04.2025).