Stadtgespräch aus Bochum: "Wir haben verlernt im großen Stil zu planen"

Stand: 21.09.2024, 16:30 Uhr

Im Lokalzeit Stadtgespräch in Bochum ging es um Verkehrsplanung, Personalmangel und Lösungen für Straßen und Schienen.

Von Johannes Hoppe

Bei strahlendem Sonnenschein verfolgen gut 50 Menschen die Begrüßung von Moderatorin Judith Schulte-Loh auf dem Dr.-Ruer-Platz mitten in der Bochumer Innenstadt, mitten im Ruhrgebiet. Das Thema ist komplex. Es geht um Verkehr, mit dem Auto, dem Lkw, der Bahn und dem Rad. Der Standort ist bewusst gewählt, denn seit Anfang August ist die A40, die Pendlerstrecke im Ruhrgebiet zwischen dem Kreuz Bochum bei Harpen und dem Kreuz Bochum-West für insgesamt 15 Wochen voll gesperrt.

Im Publikum ist das Ehepaar Wienke aus dem Bochumer Stadtteil Harpen. Christine Wienke berichtet von den Auswirkungen der Vollsperrung auf ihr Verkehrsverhalten. Sie fahre meist mit dem Auto, insgesamt aber eher selten. Sie überlege sich, zu welcher Uhrzeit sie fährt, welche Wege sie machen muss und das als Mensch, der eh nicht gern Auto fährt.

Umwege durch Sperrungen, Baustellen und über volle Umleitungsstrecken machen mir zu schaffen. Christine Wienke aus Bochum-Harpen
Publikumsmoderator Olaf Biernat im Gespräch mit dem Ehepaar Wienke aus Bochum-Harpen | Bildquelle: Johannes Hoppe

Die Renterin würde lieber auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Das falle ihr nach so vielen Jahren, in denen sie mit dem Auto unterwegs war, aber gar nicht so leicht, sagt sie.

Problematische Brücken

Ein großes Thema beim Stadtgespräch sind NRWs Brücken, zum Beispiel der Brückenneubau auf der A40. Dazu äußert sich Verkehrsminister Oliver Krischer. Der Grünen-Politiker ist seit etwa zwei Jahren im Amt und weiß um die Schwierigkeiten seiner aktuellen Aufgaben. Das Land sei für gut 7.000 Brücken zuständig. Etwa 400 seien marode, in den kommenden zehn Jahren wolle man alle abarbeiten.

Wir müssen weniger neu bauen, sondern Brücken erhalten, instandsetzen. Den Switch haben wir gemacht. Außerdem müssen wir schneller werden. Oliver Krischer, NRW-Verkehrsminister
Etwa 50 Menschen waren zum Stadtgespräch gekommen und haben sich mit Fragen und Anregungen beteiligt. | Bildquelle: Johannes Hoppe

Viele alte Brücken, wie zum Beispiel der Rahmedetalbrücke auf der A45 oder der Uerdinger Rheinbrücke in Krefeld, seien dem Verkehr nicht mehr gewachsen und deshalb im Moment für Laster gesperrt. Hinzu komme, dass viele Brücken individuell geplant wurden. Das berge weitere Probleme bei der Sanierung.

Beim Neubau setze das Land jetzt auf Modulbauweise. Das werde bei der A40-Brücke so gemacht, sei in den Niederlanden schon Standard und gehe doppelt so schnell. Insgesamt werde die Bauweise bei der Hälfte aller aktuellen Brückenplanungen umgesetzt. Zudem sei geplant, ab jetzt alle sechs Jahre alle Brücken im Land genau zu prüfen, alle drei Jahre zumindest grob. Man hole also auf.

Gleichzeitig betonte der Minister, dass noch viel Arbeit vor ihm und seinen Amtskollegen in den anderen Bundesländern liege. Das bestätigt auch der Bochumer Spediteur Gerard Graf. Er fordert mehrere hundert Milliarden für die Sanierung von Brücken, Straßen und Autobahnen in den kommenden zehn Jahren in die Hand zu nehmen.

Der Wirtschaftsstandort Deutschland hat jahrelang von seiner Top-Infrastruktur gelebt. Die haben wir inzwischen nicht mehr. Wer geht denn hier noch hin, wenn er weiß, dass er viele Transporte hat? Gerard Graf, Spediteur aus Bochum

Woher das viele Geld für die Sanierungen kommen soll, lassen sowohl der Spediteur als auch der NRW-Verkehrsminister offen. Zudem würden die Menschen fehlen, die die Pläne umsetzen, so Oliver Krischer. Beim Betrieb Straßen.NRW seien zuletzt wieder viele Stellen besetzt worden. Auch hier hole das Land den Sanierungsstau personell langsam auf.

Jahrelange Fehleinschätzungen

Michael Ortgiese, Professor für Verkehrsforschung am DLR, berät Verkehrspolitiker seit Jahren. Im Gespräch auf der Bühne gibt er zu, dass Experten jahrelang das zunehmende Verkehrsaufkommen in Deutschland falsch eingeschätzt hätten. Zudem seien die stockende Digitaliserung und der Personalmangel in entscheidenden Postitionen der Verkehrsplanung der Grund für die vielen Probleme auf Straßen und Schienen.

Wir haben an vielen Stellen verlernt im großen Stil zu planen. Es gab früher viel mehr Ressourcen. Prof. Michael Ortgiese, Verkehrsforscher

Mit dem Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg sei die Verkehrplanung in den 70er Jahren erstmal abgeschlossen gewesen. Danach sei nur wenig passiert. Das müsse jetzt angegangen werden. Es sei wichtig, viele Arbeitsprozesse zu digitalisieren, Bürokratie und Regularien abzubauen, um schneller voran zu kommen.

Personalmangel bei der Bahn

Publikumsmoderator Olaf Biernat mit WDR-Bahnexperte und Blogger Niklas Hoth | Bildquelle: Johannes Hoppe

Ähnliche Probleme gelten auch für das Schienennetz der Deutschen Bahn. WDR-Kollege Niklas Hoth ist regelmäßig mit dem Zug unterwegs, er bloggt übers Bahnfahren und tritt im WDR als Experte für die Schiene auf. Ihm fällt nicht nur der Personalmangel bei Planung und Umsetzung durch Baufirmen auf, sondern auch beim Personal in den Zügen. Weil Lokführer fehlten, würden ja zusätzlich immer wieder Züge ausfallen.

Da bin ich mittlerweile ziemlich pessimistisch, ob das wirklich besser wird. Die Unternehmen bemühen sich, es gibt aber einfach zu wenig junge Leute, die die Jobs übernehmen können. Niklas Hoth, WDR-Bahnexperte

Das Problem sei also schlichtweg ein gesellschaftliches und das zu lösen, sei eine riesige Aufgabe. Wie genau diese und weitere bewältigt werden und in welchem Tempo, das bleibt abzuwarten. Spediteur Gerard Graf sagte, ihm fehle das Vertrauen in die Pläne der Politik. Deshalb habe er den Betrieb an seinen Sohn übergeben.

Das komplette Lokalzeit Stadtgespräch aus Bochum hören Sie hier:

Stadtgespräch aus Bochum: Stillstand im Ruhrgebiet Lokalzeit Stadtgespräch 21.09.2024 55:06 Min. Verfügbar bis 21.09.2026 WDR 5

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