Geschäftig geht Meral Sahin die schier endlose Tischreihe in der Keupstraße auf und ab. Eine Stunde vor Sonnenuntergang sind fast alle Plätze schon besetzt. Die Sprecherin der Interessengemeinschaft Keupstraße kommt keine zehn Meter weit ohne ein herzliches "Hallo", eine kurze Anweisung oder ein schnelles Telefonat.
Schon zum sechsten Mal veranstaltet sie zusammen mit den Bewohnern der Keupstraße ein Fastenbrechen im XXL-Format. Vor 20 Jahren hatten Rechtsterroristen hier versucht, das multikulturelle Leben mit einer Nagelbombe zu zerstören.
Istanbul-Feeling in Köln-Mülheim
Währenddessen werden um uns herum die langen Tischreihen mit Brot, Wasser, Ayran und Datteln gedeckt. Offiziell ist die komplette Straße für eine Demonstration gegen Rechtsextremismus gesperrt. Doch an der 300 Meter langen Tafel zwischen türkischen Restaurants, Backstuben und Modegeschäften verbreiten die Organisatoren ihre Botschaft nicht mit Parolen, sondern mit einem gemeinsamen Essen nach Sonnenuntergang.
"Wir haben 400 Kilo Kalbfleisch verarbeitet. Das muss gleich verteilt werden. Zuerst gibt es Linsensuppe, dann das Fleisch und dann wird gegessen", freut sich Ömer Aldag. Dann gießt der Geschäftsführer eines Restaurants mit einem Maßbecher frisch gekochte Linsensuppe in das nächste Tablett mit kleinen Suppenschüsseln.
Er und fast alle Geschäftsleute der Keupstraße haben das Essen für 2.500 Gäste aus der eigenen Tasche bezahlt. Eine große Geste und ein Zeichen der Barmherzigkeit im heiligen Fastenmonat der Muslime. Trotz des religiösen Hintergrundes ist jeder willkommen. Egal welche Religion man hat, ob man fastet oder nicht.
Fastenbrechen mit Freunden
Mittlerweile sind alle Plätze an den Tischen mit weit mehr als 1.000 Besuchern gut gefüllt. Nach dem kurzen Gebet eines Imams essen Familien mit Kindern, Rentner, Pärchen, oder Gruppen von Freunden gemeinsam zu Abend. Auch Kiymet Tamer, die nebenan im Viertel wohnt: "Dieses Gemeinsame, dieses Flair zu erleben - deshalb sind wir hier. Auch dieses Feiern nach einem Monat Fasten - das ist schön."
Auch Tibor Taras und seine Freundin lassen sich den türkischen Reis mit Kalbfleisch schmecken und sind fasziniert von der ausgelassenen Stimmung: "Obwohl wir gar keinen Ramadan machen fühlen wir uns gar nicht ausgeschlossen, sondern wohl und gut aufgehoben." Eine Extraportion Gemeinschaftsgefühl beim vorletzten Fastenbrechen.
Viele Besucher filmen staunend mit ihren Handys die weit mehr als 1.000 Menschen ab, die friedlich zusammen zu Abend essen. Mit dem großen Fastenbrechen kehrt auch bei der umtriebigen Organisatorin Meral Sahin etwas Ruhe ein. Das Zeichen für Integration, dass sie und ihre Mitstreiter der IG Keupstraße setzen wollten, wird als Foto oder Handyvideo in den kommenden Tagen noch tausendfach geteilt werden.
Unsere Quellen:
- IG Keupstraße
- Reporter vor Ort
Über dieses Thema berichtet der WDR am 09.04.24 auch im Fernsehen in der Lokalzeit aus Köln.