Erzbistum Köln muss 300.000 Euro Schmerzensgeld zahlen

03:08 Min. Verfügbar bis 13.06.2025 Von Markus Schmitz

Erzbistum Köln muss 300.000 Euro Schmerzensgeld zahlen

Stand: 13.06.2023, 19:16 Uhr

300.000 Euro Schmerzensgeld muss das Erzbistum Köln einem Betroffenen von sexualisierter Gewalt bezahlen. Der Kläger war als Kind in den 70er Jahren von einem Priester über 300 Mal vergewaltigt worden.

Von Christina Zühlke

300 000 Euro Schmerzensgeld soll ein Betroffener von sexualisierter Gewalt vom Erzbistum Köln bekommen. Das hat das Landgericht Köln am Dienstag entschieden. Ursprünglich hatte der Kläger Georg Menne insgesamt rund 800.000 Euro an Schmerzensgeld und Entschädigung gefordert. Dennoch überschreitet die Summe von 300.000 Euro die bisherigen Zahlungen der katholischen Kirche an Betroffene um ein Vielfaches.

Der Kläger war als Kind in den 70er Jahren über zehn Jahre lang von einem Priester missbraucht worden.

Das Erzbistum Köln hatte entschieden, in dem Fall keine Verjährung geltend zu machen. In einem Statement des Erzbistums Köln zum Urteil heißt es: Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen, dessen Folgen die Betroffenen oft ein ganzes Leben lang beeinträchtigen bzw. begleiten. Das Erzbistum Köln übernimmt für dieses erlittene Unrecht und Leid institutionelle Mitverantwortung.

"Ich bin froh und dankbar, dass das Gericht mit seiner Entscheidung zur Klarheit in diesem Fall beigetragen hat." Rainer Maria Kardinal Woelki

Taten des Priesters waren der Kirche lange bekannt

Der damalige Kölner Erzbischof Joseph Höffner und andere Verantwortliche wussten schon von Vorwürfen gegen den Priester aus den 50er und 60er Jahren. Doch sie versetzten den Täter nur. So konnte er in den 70er Jahren Georg Menne und andere Kinder über zehn Jahre lang missbrauchen.

"Wenn sie ihn aus dem Verkehr gezogen hätten, wäre es nicht zu den Taten gekommen, die mir und anderen Kindern widerfahren sind", davon ist Georg Menne überzeugt.

Klage trotz Verjährung

Die Kirche bestreitet diese Taten nicht. Aber der Täter ist längst tot, die Taten verjährt. Keine Chance mehr, dachte Georg Menne ursprünglich. Der 64-Jährige ist selbst Theologe und arbeitete als Gemeindereferent – nicht als Pfarrer – für das Erzbistum Köln.

Seine Anwälte hatten ihm geraten, gegen das Erzbistum Köln als Institution zu klagen. Weil die Verantwortlichen ihn als Kind nicht geschützt hätten, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre.

Menne und seine Anwälte forderten ein Schmerzensgeld von 725.000 Euro, dazu wären weitere Kosten gekommen und eine sogenannte "Anerkennungsleistung" von 25.000 Euro die Menne bereits erhalten hat. Insgesamt ergab sich so ein Streitwert von 805.000 Euro.

"Es ist großartig, dass Georg Menne diesen Weg für uns gegangen ist." Markus Elstner, Missbrauchsopfer

Dass Menne eine sechsstellige Summe bekommt, hatte der Richter bereits am ersten Prozesstag vor dem Landgericht Köln angedeutet. Die nun zugesprochenen 300.000 Euro liegen zwar deutlich unterhalb der Forderung, aber die Höhe der Summe ist ein völlig neuer Schritt im Kampf der vielen Betroffenen mit dem mächtigen Gegner katholische Kirche.

"Ein Meilenstein"

Einer dieser Betroffenen ist auch Markus Elstner. Er wurde als Elfjähriger von dem beschuldigten Priester missbraucht und plant ebenfalls gegen die Kriche zu klagen. "Für mich war das ein Meilenstein, dass die Kirche uns nicht mehr mit 1.000 oder 5.000 Euro abspeisen kann", so Elstner. "Es ist großartig, dass Georg Menne diesen Weg für uns gegangen ist."

Auch Wilfried Fesselmann aus Essen ist ein Opfer des Priesters. Nach dem Prozess gibt er sich zufrieden, und findet wichtig, "dass die Kirche für die Taten ihrer Priester zahlen muss."

Körperliche Folgen bis heute

Einige Tage vor dem letzten Prozesstag ist Georg Menne die Anspannung anzumerken. Angstattacken, Schlafstörungen, körperliche Beschwerden, alles, was der Missbrauchstäter als Kind bei ihm ausgelöst hat, kommt auch jetzt wieder zum Vorschein – immer dann, wenn der Stress zu groß wird.

Jahrelang hat er gedacht, seine Kirche und schon gar einen Bischof dürfe man doch nicht verklagen. Er selbst hat als Krankenhausseelsorger bis zu seiner Rente für das Erzbistum von Kardinal Rainer Maria Woelki gearbeitet.

Es bleibt eine Zerrissenheit: "Für die einen bin ich der Nestbeschmutzer und für die anderen der Schwarzkittel und keinem kann ich es recht machen". Dabei, sagt Menne, habe er doch auch früh gelernt, es vor allem dem Täter recht zu machen, "damit ich einigermaßen überleben kann".

"Auf Zeit gespielt"

Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative Eckiger Tisch sieht den Prozess in Köln als Bestätigung, dass die bisherigen Zahlungen der Kirche zu gering sind: "Es ist bedauerlich, dass die Kirche erst durch Gerichte gezwungen werden muss, angemessen zu entschädigen"

Schon 2019 habe eine Arbeitsgruppe Summen zwischen 50.000 und 400.000 Euro empfohlen. Die katholischen Bischöfe hatten die Arbeitsgruppe beauftragt, die Empfehlung dann aber ignoriert und stattdessen einen Richtwert von 50.000 Euro genannt.

Georg Menne bekam bisher 25.000 Euro als sogenannte "Anerkennung des Leids". Matthias Katsch sagte dem WDR: "Kein Betroffener muss sich jetzt mehr damit zufriedengeben, diese Almosen zu empfangen. Gleichzeitig wird auch deutlich, wie zynisch die Kirche offensichtlich über die letzten Jahre auf Zeit gespielt hat". Für Betroffene stelle sich jetzt außerdem die Frage, ob sie alle einzeln vor Gericht ziehen müssten.

"Ich tue es für meine Familie"

Dem Anwalt von Georg Menne, Eberhard Luetjohann, ist nach eigener Aussage eine Reihe von Betroffenen bekannt, die nun ebenfalls klagen will.

Eine hohe Schmerzensgeldsumme ist aber nicht nur ein Signal an die Betroffenen. Sie sei auch wichtig, weil nur ein schmerzhafter Betrag dazu führen könne, dass die katholische Kirche und andere Organisationen ihren Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt verändern werden.

Georg Menne habe sich durchaus zwischendurch gefragt: "Warum das Ganze?". Dann muss er schlucken: "Ich tue es auch für meine Familie. Die haben viel unter mir gelitten. Die Wut, die Wutausbrüche, die sie nicht verstanden haben. Für sie tue ich es".

Über dieses Thema berichten wir auch in der Lokalzeit aus Köln im Fernsehen um 19.30 Uhr.