Wohnungsblock im Sviatoshynskyi Distrikt in Kiew nach massiven russischen Raketen- und Drohnenangriffen

Militärexperte: Trump fordert Kapitulation der Ukraine

Stand: 24.04.2025, 12:51 Uhr

Die Ukraine soll besetzte Gebiete an Russland abtreten, um Frieden zu bekommen. Politologe Gustav Gressel kritisiert das scharf.

US-Präsident Donald Trump sieht ein Ende des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine in greifbarer Nähe. "Ich glaube, wir haben einen Deal mit Russland", sagte Trump am Mittwoch (Ortszeit) in Washington. Es fehle nur "eine Vereinbarung" mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der "Deal" soll laut Medienberichten vorsehen, dass die Ukraine auf die Krim und vier weitere von Russland eroberte Regionen verzichtet.

Militärexperte Gustav Gressel sieht darin nicht weniger eine "Kapitulations-Aufforderung an die Ukraine", die Trump-Regierung "bete" russische Positionen nach. Das sagte der Politikwissenschaftler von der österreichischen Landesverteidigungsakademie in Wien im Interview mit dem WDR.

Hinweis: Das Interview wurde bereits am Mittwoch geführt. In London fanden Ukraine-Gespräche statt, US-Außenminister Marco Rubio sagte seine Teilnahme kurzfristig ab. Für die schriftliche Version haben wir das Interview an einigen Stellen gekürzt.

WDR: Was läuft da gerade in London? Sind das ernsthafte Gespräche, die tatsächlich zu einer Art Waffenstillstand führen könnten?

Militärexperte Gustav Gressel im Portrait

Militärexperte Gustav Gressel

Gustav Gressel: Nein, als solches würde ich das nicht bezeichnen. Es zeichnet sich immer weiter ab, dass die Amerikaner im Grunde aus der Ukraine-Unterstützung aussteigen wollen und dafür eine Ausrede, eine günstige Situation oder eine Erklärung suchen. Die ganze Choreografie des amerikanischen Außenministers, des amerikanischen Vizepräsidenten der letzten Tage hat darauf hingedeutet. Trump spricht von einem letzten Angebot. Dieses letzte Angebot ist gleichzeitig eine Kapitulationsaufforderung an die Ukraine. Die Amerikaner stellen keinerlei Leistung, Gegengarantie oder Gegenleistung bereit. Und sie verlangen von den Russen keinerlei mäßigende Maßnahme. Das alles ist nicht ernsthaft, das dient nur zur innenpolitischen Show in Washington.

WDR: Es ist also Theater? Aber dieser Krieg ist real, und die Bemühungen um Frieden sind hoffentlich auch real. Kann man wirklich sagen, dass das eine Choreographie ist?

Gressel: Der Krieg ist real, aber die Bemühungen für Frieden durch die Trump-Administration sind surreal. Zuerst lag der Kellogg-Plan (des vorherigen Sondergesandten der US-Regierung, Anm.d.R.) im Raum, der im Grunde etwas Ähnliches war, was sich (der vorherige US-Präsident) Biden vorgestellt hatte. Dann wurde Kellogg aus dem Prozess herausgedrängt durch Herrn Wittkoff, der für die Amerikaner in Moskau verhandelt. Dem schwebte ein Frieden durch Schwäche vor. Man müsse nur auf die Russen zugehen und ihre Positionen nachbeten. Die Russen haben das natürlich dankend angenommen und die Amerikaner im Grunde gedemütigt. Sie haben geschaut, wie weit sie es treiben können, wie sie die Amerikaner in die totale Selbstverleugnung treiben.

Helfer suchen nach Überlebenden nach einem Raketenangriff in dem Sviatoshynskyi Distrikt in Kiew

Helfer suchen nach Überlebenden nach einem Raketenangriff in dem Sviatoshynskyi Distrikt in Kiew

Naryschkin (Russlands Auslandsgeheimdienstchef) hat am Wochenende schon betont, dass Russland von seinen Forderungen an die Ukraine nicht abrückt. Die sehen nicht nur die Akzeptanz der militärischen Besetzung vor, sondern auch die Auflösung der ukrainischen Armee und ähnliche Dinge. Da sagt die Ukraine: Nein. Das würde den Russen militärisch freie Hand geben. Vor allem, wenn man die Ukraine nicht in die Nato aufnimmt oder ihr anderweitige Sicherheitsgarantien gibt. Im Grunde sind wir jetzt so schlau wie vor einem Jahr. Es gab zwischendurch nur sehr viel Theater, das vorgetäuscht hat, dass Trump es irgendwie versuchen würde, einen Frieden herbeizuführen.

WDR: Trotzdem gibt es einen Unterschied: Vor einem Jahr war relativ klar, dass die USA die Ukraine unterstützen. Wenn Trump jetzt sagt, "wenn das hier nicht bald was wird, dann steigen wir aus dem Prozess aus", gegen wen richtet sich diese Drohung?

Gressel: Die Drohung richtet sich ausschließlich gegen die Ukraine. Die amerikanischen Schätzungen, ob die Ukraine ohne amerikanische Rüstungshilfe überleben kann, sind relativ düster. Ich würde diese Düsterheit nicht in aller Deutlichkeit teilen, aber die Europäer müssten sich natürlich gehörig anstrengen, wenn sie den Verlust der amerikanischen Unterstützung auffangen wollten. Sie hätten sich schon seit längerer Zeit auf diesen Fall vorbereiten müssen. Das haben sie nicht leider nicht getan.

WDR: Wir könnten also am Punkt angelangen, dass die USA sagen, "wir steigen aus diesem Prozess aus und Europa kann sehen, wie es das hinkriegt"?

Gressel: Genau. Die Amerikaner haben bis jetzt kein einziges neues Hilfspaket auf den Weg gebracht. Sie haben auch den Verkauf von Munition und Waffensystemen abgelehnt – also nicht die Unterstützung, sondern den Verkauf. Sie haben auch abgelehnt, der Ukraine Kredite zu gewähren, um sich Dinge kaufen zu können. All das, was diskutiert wurde, ist jetzt vom Tisch. Es wird nach dem Auslaufen der gegenwärtigen Hilfspakete bei den Europäern bleiben. Die stehen vor der Situation, dass sie eine kriegsbereite und kriegsführende russische Armee vor der Tür haben. Das einzige, was zwischen dieser Armee und ihnen selbst steht, ist eine mittlerweile auch recht erfahrene ukrainische Armee. Wenn die Europäer der russischen Armee jetzt ohne jegliche Drohnenerfahrung und ohne die Schritte der Mobilmachung und Vergrößerung durchgemacht zu haben begegnen müssen, hätten sie selber erhebliche Schwierigkeiten, so eine Armee abzuwehren. Das ist für Europa jetzt schon brenzlich.

WDR: Selenskyj hat es abgelehnt, Gebiete an Russland abzutreten. Aber die russische Armee setzt die Ukraine weiter unter Druck. Wie lange kann es sich die Ukraine leisten, so kategorisch nein zu sagen?

Gressel: Das Problem aus ukrainischer Sicht: Russland hat nicht zugesagt, dass es irgendeine Gegenleistung erbringt. Man solle der Illusion nicht nachhängen, dass es für die Anerkennung der Krim einen Waffenstillstand gegeben hätte. Die Anerkennung der Krim stand ja schon oftmals in Verhandlungen auf dem Tisch, aber das hat den Russen nie gereicht. Die Russen wollen darüber hinaus die Auflösung der ukrainischen Armee und einen innenpolitischen Prozess in der Ukraine nach eigenem Gutdünken sehen. Die Anerkennung der Krim allein bringt den Ukrainern gar nichts. So wie die Amerikaner das fordern, wäre das eine einseitige Vorleistung. Und die Ukrainer sind nicht bereit, einseitige Vorleistungen zu bringen, wenn die russische Seite überhaupt keinen Kompromiss auf den Tisch legt.

Das Interview führte Andrea Oster. Ihr könnt es euch auch hier anhören:

Unsere Quellen:

  • Interview mit Gustav Gressel im WDR 5 Morgenecho, gesendet am 24.02.2025
  • Nachrichtenagentur dpa