Studiogespräch: Dr. Martin Florack, Politologe Wissenschaftscampus NRW, Teil 1 Aktuelle Stunde 22.09.2024 36:56 Min. UT Verfügbar bis 22.09.2026 WDR

Das bedeutet die Brandenburg-Wahl für NRW

Stand: 22.09.2024, 20:20 Uhr

Die SPD bleibt in Brandenburg stärkste Kraft, gefolgt von der AfD. Grüne, Linke und BVB/Freie Wähler müssen zittern. Das Ergebnis hat auch Auswirkungen für NRW.

Von Rainer Striewski

So hat Brandenburg gewählt:

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In Brandenburg liegt die SPD laut aktueller Hochrechnung (20:00 Uhr) von infratest dimap mit 30,7 Prozent vor der AfD, die auf 29,6 Prozent kommt. Die CDU liegt bei 12,1 Prozent, das BSW bei 13,1 Prozent. Die Grünen scheitern mit 4,6 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde, ebenso die Linke mit 2,9 Prozent und das BVB/Freie Wähler mit auf 2,5 Prozent. Sie könnten aber durch mindestens ein Direktmandat doch noch in den Landtag einziehen.

Landtagswahlen mit großer Bedeutung

Olaf Scholz nach Wahl unter Druck? | Bildquelle: Michael Kappeler/picture alliance/dpa

Mit Spannung wurde nicht nur in Brandenburg auf das Ergebnis der Wahl geschaut. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte angekündigt, nicht wieder als Ministerpräsident zur Verfügung zu stehen, sollte seine SPD nicht stärkste Kraft werden. Den Wahlkampf hatte er komplett darauf zugeschnitten - und genau darauf geachtet, nicht zusammen mit Parteifreund und Kanzler Olaf Scholz aufzutreten. Denn das momentan schlechte Licht, in dem die Ampel-Regierung unter Scholz in Berlin gerade dasteht, sollte nicht auf Brandenburg abstrahlen.

Wäre Woidkes SPD damit hinter der AfD gelandet, hätte Scholz ihm diese Taktik vorwerfen können. So aber dürfte Woidkes gutes Abschneiden nun den Kanzler unter Druck setzen. "Der Kanzler hat heute nicht wirklich was zu gewinnen, aber viel zu verlieren", ordnet Matthias Deiß aus dem ARD-Hauptstadtstudio ein. Das Klima in der Ampel-Regierung werde weiterhin angespannt bleiben.

Wahlkampf auf Woidke zugeschnitten | Bildquelle: IMAGO/Andreas Franke

"Der Wahlkampf in Brandenburg ist zum Wettrennen zweier gesellschaftlicher Lager geworden", analysierte WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn im Vorfeld der Wahl. Die Stimmung sei auf beiden Seiten geprägt von Sorgen und Ängsten - Angst vor wachsender Kriminalität und der Sorge, dass Deutschland wegen der Unterstützung für die Ukraine in den Krieg hineingezogen werden könnte. Zusammen mit den Wahlen in Sachsen und Thüringen kann die Wahl in Brandenburg vielfältige Auswirkungen auf den Bund und auch NRW haben.

NRW-Entscheidung rechtzeitig vor der Wahl

Die CDU landet in Brandenburg deutlich abgeschlagen noch hinter dem BSW auf dem vierten Platz. Deshalb wäre es gut gewesen, die Kanzlerkandidatenfrage vor der Wahl abzuräumen, meint Martin Florack, Politikwissenschaftler und Leiter des "Wissenschaftscampus NRW" (WICA) in Oberhausen. "Das war ein interessanter Schachzug von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst", so Florack. Wüst hatte Anfang der Woche den Weg für Friedrich Merz frei gemacht. Florack sieht Wüst deshalb auch als Kanzlermacher.

Martin Florack | Bildquelle: WDR

Das unterscheidet Brandenburg und NRW

Die Zahl der Landtagssitze ist in Brandenburg auf maximal 110 begrenzt. Eine derartige feste Begrenzung gibt es in NRW nicht, sie ist sogar einmalig in Deutschland. Regulär besteht der Potsdamer Landtag aus mindestens 88 Abgeordneten. 44 von ihnen werden per Erststimme in den Wahlkreisen gewählt, die übrigen über die Landeslisten.

Potsdamer Landtag hat maximal 110 Sitze | Bildquelle: IMAGO/Schoening

Voraussetzung für einen Sitz im Potsdamer Landtag sind regulär mindestens 5,0 Prozent der Zweitstimmen. Ausnahmen gibt es allein für nationale Minderheiten wie die Sorben. Wird die Fünf-Prozent-Hürde nicht genommen, reicht einer Partei bereits ein errungenes Direktmandat, um entsprechend ihrem Zweitstimmenanteil in den Landtag einzuziehen. Auch diese sogenannte Grundmandatsklausel gibt es in NRW nicht, aber durchaus in anderen Bundesländern. Neben Brandenburg verfügen auch Berlin, Sachsen und Schleswig-Holstein über eine Grundmandatsklausel.

Auswirkungen auf NRW und den Bund

Brandenburg hat im Bundesrat, also der "Länderkammer", in der die Bundesländer mitbestimmen, 4 Sitze. Auch die Bundesländer Sachsen und Thüringen, in denen Anfang September gewählt wurde, verfügen jeweils über 4 Sitze. Zusammen kommen die drei ostdeutschen Bundesländer also auf 12 Sitze in der insgesamt 69 Sitze umfassenden Länderkammer.

Das klingt nach nicht viel, könnte aber bei knappen Abstimmungen entscheidend sein. "Dann könnte eine Landesregierung mit einer Partei, die durchaus auch ein Interesse an Blockade haben könnte, womöglich den Unterschied machen. Nicht sofort, aber mittelfristig", meint der Kölner Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky. Denn die Länder im Bundesrat können ihre Stimmen nur in einer Einheit abgeben. Eine Landesregierung in Brandenburg, Thüringen oder Sachsen muss sich also vorher darauf einigen, ob sie mit ihren 4 Stimmen im Bundesrat mit "Ja" oder "Nein" stimmen möchte.

Auswirkungen auf die AfD in NRW

Das gute Abschneiden der AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen muss sich nicht direkt auf die Ergebnisse der AfD in NRW auswirken. Hier kam die AfD bei der letzten Landtagswahl 2022 auf 5,4 Prozent, bei der Europawahl 2024 hingegen bereits auf 12,6 Prozent.

Lewandowsky: AfD-Positionen könnten legitimer werden | Bildquelle: privat

Die Menschen in NRW würden aber eher Parteien bevorzugen, die schon länger etabliert sind, erklärt der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky. Das Protestpotential wäre hier kleiner als etwa in Ostdeutschland. Aber: "Wenn die AfD weiter etabliert wird als Partei, dann bedeutet das auch, dass ihre Positionen legitimer werden", erklärt Lewandowsky. Denn Parteien wie die CDU würden weiter glauben, dass man die Themen und Positionen der AfD aufgreifen und kopieren müsse, um sie in Schach zu halten. Das funktioniere jedoch nicht, erklärt der Politikwissenschaftler.

"Trittbrettfahrer-Effekt" für BSW in NRW?

Noch spielt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in NRW kaum eine Rolle. Bei der Europawahl 2024 kam das BSW hier nur auf 4,4 Prozent. Doch das könnte sich bei den nächsten Wahlen ändern. Denn wenn eine Partei in anderen Bundesländern erfolgreich ist, könnte sie auch in NRW interessanter werden, vermutet Politikwissenschaftler Lewandowsky. In Sachsen kam das BSW bei den Wahlen Anfang September auf 11,8 Prozent, in Thüringen auf 15,8 Prozent. Mittelfristig sieht er auch in NRW großes Potential für die neue Partei, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. "Und das wird natürlich auch das Regieren in NRW womöglich nicht einfacher machen", so Lewandowsky.

Über dieses Thema berichten wir am Sonntag (22.09.) in den Hörfunknachrichten, WDR aktuell und in der Aktuellen Stunde.

Unsere Quellen:

  • Hochrechnungen infratest dimap
  • Gespräch mit Politikwissenschaftler Martin Florack
  • Gespräch mit Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky
  • ARD-Sondersendung "Wahlen in Brandenburg"