Sträucher und Bäume wachsen auf dem Mittelstreifen des nicht vollständig zurückgebauten Streckenabschnitts der Autobahn A4, die durch die Ausweitung des Braunkohletagebaus Hambach 2014 verlegt werden musste.

Waldbesetzung, Hambach, Biotop - was ist da los im NRW-Kohlerevier?

Stand: 09.01.2025, 06:00 Uhr

Das Sündenwäldchen besetzt, die Manheimer Bucht beklagt: Am Tagebau Hambach steigt die Anspannung. Ist da noch Platz für die Natur?

Von Tobias ZacherTobias Zacher

Seit Jahresbeginn steigt die Anspannung bei Umweltschützern und Waldbesetzern im Rheinischen Revier: Seit dem 01. Januar gilt der neue Hauptbetriebsplan für den Tagebau Hambach. Der sieht erstmals explizit vor, dass RWE die so genannte Manheimer Bucht abgraben darf. Durch die würde der Tagebau Hambach nach Süden erweitert. RWE will dort Material abbauen, um damit an anderen Stellen im Tagebau Böschungen aufzuschütten.

Sündenwäldchen soll abgebaggert werden

Auf den Flächen, die abgebaggert werden sollen, liegt ein etwa sechs Hektar umfassendes Waldstück. Seit Monaten ist dieses so genannte Sündenwäldchen besetzt, die Aktivistinnen und Aktivisten wollen es retten. Seitdem der neue Hauptbetriebsplan gilt, befürchten sie, dass sie schon bald mit einem großen Polizeieinsatz aus dem Wald entfernt werden könnten. Zugleich kämpft der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) NRW juristisch gegen diesen Hauptbetriebsplan, um die Manheimer Bucht im letzten Moment doch noch zu verhindern. RWE betont, im Sündenwäldchen fänden "derzeit keine Rodungsarbeiten statt", einen weiteren Zeitplan könne man nicht nennen.

Was bedeutet diese Auseinandersetzung politisch?

Fest steht: Dieser Konflikt ist brisant für die NRW-Landesregierung aus CDU und Grünen. Einerseits wurde der neue RWE-Hauptbetriebsplan in ihrer Regierungszeit genehmigt. Andererseits haben sich beide Parteien im Koalitionsvertrag auf eine "großflächige Waldvernetzung im südlichen Teil des Tagebaus Hambach" festgelegt. Diese ökologische Vernetzung von Hambacher Forst und dem Bürgewald Steinheide wird jedoch durch die künftige Manheimer Bucht massiv erschwert - einige Umweltschützer sagen gar: unmöglich gemacht.

Die Landesregierung muss nun politisch die Quadratur des Kreises schaffen, so scheint es: Biotopvernetzung trotz Manheimer Bucht.

Biotopvernetzung trotz Manheimer Bucht?

Dafür zuständig sind zwei Grüne: Mona Neubaur ist als Wirtschaftsministerin auch oberste Chefin derjenigen Bergbehörde, die RWE das Baggern der Manheimer Bucht erlaubt hat. Umweltminister Oliver Krischer muss die Biotopvernetzung organisieren. Beide haben sich in der Vergangenheit, bevor sie Teil der Landesregierung wurden, gegen die Braunkohle und die Tagebaue im Rheinischen Revier eingesetzt. Jetzt müssen sie pragmatische Lösungen finden.

Schon die Braunkohle-Leitentscheidung, die die vorherige Landesregierung im Jahr 2021 beschlossen hat und die weiterhin gilt, legt fest: Es sollen "Verbindungsflächen bzw. ökologische Trittsteine zwischen Hambacher Forst, Merzenicher Erbwald und der Steinheide hergestellt werden." Einen solchen ökologischen Trittstein stellt aktuell offenbar das Sündenwäldchen dar.

BUND: Sündenwäldchen ist "hochwertvoll"

Dirk Jansen vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland

Dirk Jansen (BUND NRW)

Dirk Jansen, Sprecher des BUND NRW, nennt es ein "hochwertvolles Wäldchen, das intensiv von Fledermäusen zum Austausch genutzt wird." Gemeinsam mit dem Bach "Manheimer Fließ" und der verwilderten Trasse der ehemaligen A4 ergebe das Waldstück derzeit einen "funktionierenden Biotopverbund", der "die ökologischen Verbindungen zwischen Steinheide und Hambacher Wald" darstelle, so Jansen im Gespräch mit dem WDR.

Das alles soll verschwinden, damit RWE die Manheimer Bucht baggern kann. Der BUND NRW ist der Ansicht, dass Fragen zum Artenschutz im neuen Hauptbetriebsplan nicht ausreichend berücksichtigt sind. Deshalb klagt der Verband vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster und hofft so, die Zulassung aufzuheben. Bei einem Erfolg wäre die Manheimer Bucht vorerst verhindert, die derzeitigen Biotopstrukturen gerettet.

Krischer: Korridor ist "adäquater Ersatz"

Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne)

Oliver Krischer (Grüne)

Nach Ansicht von Umweltminister Krischer jedoch ist das gar nicht nötig. Denn die Landesregierung hat einen Plan, wie trotz Manheimer Bucht die Biotopvernetzung funktionieren soll: Mit einem "nördlich entlang der Hambachbahn verlaufenden, waldbaulich zu entwickelnden Korridor mit einer Breite von etwa 250 m" - so steht es in einer Vorlage an den Wirtschaftsausschuss des Landtags. Nach WDR-Informationen soll dieser Korridor zwischen zwei Kiesgruben verlaufen - wesentlich weiter südlich als die derzeitigen Biotopstrukturen. Er soll rund 40 Hektar umfassen. Laut Umweltministerium hat RWE zugesagt, die dafür nötigen Flächen zur Verfügung zu stellen.

Für den Grünen Krischer wäre dieser geplante Korridor eine "gute Möglichkeit, das Biotopverbundkonzept rund um den Tagebau Hambach herzustellen". Er sei "aus Naturschutzsicht ein adäquater Ersatz" für die derzeit bestehenden Strukturen. Mehr noch: "Ich sehe das sogar als Fortschritt für den Naturschutz. Wir haben hier eine bessere Biotopvernetzung, als sie heute der Fall ist", sagt Krischer dem WDR. Er verweist auch darauf, dass der geplante Korridor um ein Vielfaches größer sein soll als das Sündenwäldchen.

Grothus: Sündenwäldchen erhalten

Nicht alle Parteifreunde aus Krischers Regierungsfraktion gehen da mit. Die Grünen-Abgeordnete Antje Grothus setzt sich seit vielen Jahren für den Wald am Tagebau Hambach ein. Dem WDR teilt sie mit, sie sei für eine "zeitgemäße, flächenschützende und nachhaltige Lösung, die auch die Belange des Artenschutzes berücksichtigt. Das ist der Erhalt der wertvollen Grünstrukturen und ökologischer Trittsteine, und damit auch des Sündenwäldchens."

Umweltschützer Dirk Jansen pflichtet ihr bei: Er habe bei dem geplanten Biotop-Korridor "erhebliche Zweifel, ob das einen funktionalen Austausch darstellen kann". Er verweist darauf, dass dieser Korridor nicht nur im Osten und Westen von den beiden Kiesgruben begrenzt würde, sondern dass südlich davon auch eine Hauptverkehrsachse liegt: Dort verlaufen die sechs Fahrstreifen der Autobahn A4, die Strecke der Hambachbahn, außerdem die ICE-Fernverbindung sowie die Gleise der S-Bahn-Linie 19.

Aus der Opposition übte Lena Teschlade (SPD) harte Kritik: "Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag ist ohnehin ein einziges Zeugnis gebrochener Versprechen. Das wird aller Voraussicht nach auch für den angekündigten Ökosystemverbund gelten", sagte sie dem WDR.

Erste Entscheidung zur Rodung schon bald?

Derzeit berät eine Arbeitsgruppe mit vielen Beteiligten unter Leitung des Umweltministeriums über die Frage, wie genau der geplante Biotop-Korridor gestaltet werden soll. So soll noch im Winter ein Fachkonzept entstehen. In der Frage, wann das Sündenwäldchen gerodet wird, könnte es schneller gehen: Denn zusätzlich zu seiner Klage hat der BUND NRW beim OVG auch eine Zwischenverfügung beantragt, mit der die Rodung des Sündenwäldchens kurzfristig verhindert werden soll. Eine Entscheidung des Gerichts darüber erwarten Beobachter für die kommenden Tage.

Der Streit um Sündenwäldchen und Manheimer Bucht

WDR 5 Westblick - aktuell 09.01.2025 06:23 Min. Verfügbar bis 09.01.2026 WDR 5


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Unsere Quellen:

  • Eigene Recherchen des Reporters
  • Umweltminister Oliver Krischer
  • RWE
  • Antje Grothus (Grüne)
  • Lena Teschlade (SPD)
  • Dirk Jansen (BUND)
  • Leitentscheidung 2021
  • Koalitionsvertrag CDU & Grüne

Über dieses Thema berichten wir am 09.01.2025 auch im Hörfunk: WDR5 Westblick ab 17:05 Uhr.