
Wie Zahlen das Atmen beeinflussen (können)
Stand: 14.03.2025, 15:30 Uhr
Kürzlich hat Innenminister Reul wieder die jährlichen Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik vorgestellt. Doch bevor wir wegen einzelner Zahlen in Panik verfallen, sollten wir vielleicht erst mal tief durchatmen, findet Bettina Altenkamp.
Beim Yoga habe ich gelernt, dass Ausatmen und zwar komplettes Ausatmen genauso wichtig ist wie Einatmen.
Binsenweisheit, denken Sie jetzt vielleicht und keine Sorge, ich fordere niemanden auf diesen Text im herab- oder heraufschauenden Hund zu lesen.

Erst mal durchatmen: Ein und auch wieder Aus war einer meiner Gedanken, als Innenminister Reul am Donnerstag dieser Woche die alljährlichen Zahlen der PKS, also der polizeilichen Kriminalstatistik, vorgestellt hat.
Erfahrungsgemäß führen die Zahlen nämlich zu kollektiver Schnappatmung. Mehr Messerangriffe, mehr Gewalt von und unter Jugendlichen, mehr Tatverdächtige nichtdeutscher Herkunft. Damit lassen sich trefflich Ängste schüren, Ressentiments bedienen und auch Schlagzeilen produzieren. Ja, auch wir Medienmenschen bedienen die und sind Teil der kollektiven Aufschreimaschine. Auch uns täte es gut, erst mal komplett ein- und wieder auszuatmen und zwar idealerweise bevor wir die eine oder andere Schlagzeile oder Kommentar verfassen.
Missverstehen Sie mich nicht, ich will die Bedeutung der Zahlen der Statistik nicht kleinreden. Jede Tat ist eine zu viel, verursacht Opfer und Unsicherheit. Mehr Kinder und Jugendliche als Täter oder Tatverdächtige sind eine mindestens besorgniserregende Entwicklung. Und auch, dass es mehr Verdächtige mit nichtdeutschem Hintergrund sind, ist eine Debatte wert. Aber bitte: erst mal durchatmen.
Schnellschüsse helfen niemandem: weder den Opfern noch bei der Ursachenanalyse und erst recht nicht dem diffusen Sicherheitsempfinden oder besser gesagt, gegen das Unsicherheitsempfinden.

Die Zahlen haben da eine sehr brachiale Wirkung – sie lassen sich auf den ersten Blick nicht widerlegen. Interessant ist nur, dass diese Wirkung im Grunde nur die negativen Zahlen haben. Also die, die zeigen, dass und wo was schiefläuft. Der kollektive Aufschrei kommt schnell, ein kollektives Aufatmen habe ich im Zusammenhang mit der PKS aber bislang noch nicht erlebt. Dabei wäre das auch durchaus angebracht. Immerhin: Insgesamt ist die Kriminalität zurückgegangen. Vielleicht nicht so doll wie gewünscht und nötig – aber immerhin, die Tendenz ist rückläufig. Ganz nebenbei wird auch weniger geklaut, auf der Straße, im Geschäft. Noch ein Grund zum Aufatmen. Sie sehen Licht und Schatten, auch viele Grautöne. Jede Zahl verdient eine Einordnung.
Die Zahlen zeigen Erfolge zurückliegenden Handelns und politischer Entscheidungen. Die Zahlen zeigen aber auch, wo Handeln und politische Entscheidungen noch nötig sind. Wir brauchen Statistiken, sie helfen dabei, Tendenzen und Entwicklungen zum Guten wie zum Schlechten zu identifizieren. Aber zwischen der Analyse der Zahlen, der Problembeschreibung und möglichen Lösungen sollten alle erst mal tief ein- und wieder komplett ausatmen.
Dieser Text erscheint auch als Editorial in "18 Millionen - Der Newsletter für Politik in NRW". Jeden Freitag verschicken wir die Themen, die NRW bewegen – an politisch Interessierte, Aktive, Gewählte, und Politik-Nerds.
Hier können Sie den Newsletter kostenlos abonnieren: