Endlich, der Mitgliederentscheid naht!

Stand: 17.04.2025, 15:55 Uhr

Nach Monaten voller politischer Achterbahnfahrten hängt das Schicksal des Landes jetzt an 358.000 SPD-Mitgliedern, findet Jochen Trum.

Von Jochen Trum

Endlich, die Erlösung naht… Sie denken jetzt, ich meine Ostern? Naja, auch. Aber eigentlich meine ich die Politik, genauer die Mitgliederbefragung der SPD. Nach Monaten voller weltpolitischer Achterbahnfahrten, historischer Unzufriedenheit des Volkes mit den Regierenden, nach dem turbulenten Ampel-Aus, nach der Neuwahl des Bundestages, nach Sondierungsrunden und Koalitionsverhandlungen hängt das Schicksal des Landes jetzt an 358.000 SPD-Mitgliedern. 

Stimmen sie zu oder lehnen sie die mit der Union ausgehandelte Vereinbarung ab? Wer ein wenig darüber nachdenkt, könnte versucht sein, sich die Frage zu stellen, warum das eigentlich nötig ist. Fast 50 Millionen Deutsche haben im Februar gewählt, sie sind der Souverän. Warum also noch ein Mitgliederentscheid? Geht etwa doch nicht, wie es im Grundgesetz heißt, alle Staatsgewalt vom Volke aus?

Die Frage ist nicht neu. Bereits 2013, als die SPD zum ersten Mal über ihre Beteiligung an einer Koalition abstimmen ließ, wurde sie dem Bundesverfassungsgericht in Form eines Eilantrags vorgelegt. Das Recht der Abgeordneten des Bundestags, frei zu entscheiden, werde unzulässig eingeschränkt, lautete der Vorwurf.

Die Richter sahen das damals anders. Parteien, so befanden sie, wirkten zwar an der politischen Willensbildung des Volkes mit und erfüllten damit eine öffentliche Aufgabe. Es handele sich aber bei einer Mitgliederbefragung nicht um einen Akt öffentlicher Gewalt, also um eine staatliche Handlung, deswegen könne man dagegen auch nicht Verfassungsbeschwerde einlegen. Wie Parteien ihre Meinungsbildungsprozesse intern organisieren, so Richter Peter Müller damals, "bleibt ihnen selbst überlassen." Roma locuta causa finita - Rom hat entschieden, die Sache ist erledigt.

Rechtlich mag das so sein, aber politisch liegen die Dinge anders. Was damals eine Art Notlösung der SPD-Parteiführung war, um die Widerstände in den eigenen Reihen gegen die Große Koalition zu überwinden, ist inzwischen für die Sozialdemokraten zum Standard geworden. Sie werden, das darf man getrost prophezeien, hinter das Votum ihrer Mitglieder in Koalitionsfragen nicht mehr zurück können.

Auch zum Standard gehört der Aufstand der Parteijugend. Schon 2013 lehnten die Jusos den Koalitionsvertrag ab. In diesen Tagen trommeln sie erneut gegen das 144-Seiten-Opus und verlangen Nachverhandlungen. Dass das Träumereien sind, weiß die Juso-Führung hoffentlich selbst. Aber der Mitgliederentscheid ist offenbar eine Einladung, sich öffentlich größtmögliches Gehör zu verschaffen. Wer seiner Rolle mit derartiger Berechenbarkeit treu bleibt, darf sich nicht wundern, wenn er nicht mehr ernstgenommen wird. "Ach ja, die Jusos", seufzen SPD-Funktionäre dann gerne mal.   

Befragungen, Voten, Urwahlen – die SPD wollte so attraktiver werden. Mit überschaubarem Erfolg, die Zahl der Mitglieder ist insgesamt rückläufig. Auch andere Parteien versuchen sich mit mehr "innerparteilicher Demokratie", Mitmach-Partei wollen fast alle sein. Ob das am Ende zu besseren politischen Entscheidungen und einem erfolgreicheren Land führt, zu größerer Zufriedenheit der Wähler mit den Gewählten, sei mal dahingestellt.

Das bringt mich zurück zur Erlösung. Erlösung heißt, so definiert es ein Theologe, Zustände zu überwinden, die vom Menschen als unvermeidlich gegeben und unheilvoll empfunden und durch keine eigene Kraft aufgehoben werden können. Also, liebe SPD, liebe Politik, an die Arbeit! Es wird höchste Zeit.

Dieser Text erscheint auch als Editorial in "18 Millionen - Der Newsletter für Politik in NRW". Jeden Freitag verschicken wir die Themen, die NRW bewegen – an politisch Interessierte, Aktive, Gewählte, und Politik-Nerds.

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