Wie ein Bürger in Ennigerloh die Energiewende anschiebt

Stand: 23.09.2024, 06:00 Uhr

Klimaneutral: Die Kleinstadt Ennigerloh im Münsterland schafft etwas, woran viele andere Städte noch scheitern. Am Erfolg haben auch die Bürger einen Anteil einer allerdings ganz besonders.
 

Von Sabine Schmitt

Es ist etwas mehr als drei Jahre her, dass Heinz-Josef Heuckmann an seinem Rechner saß und durch den Klimaschutzplan seiner Heimatstadt Ennigerloh scrollte, einer 20.000-Einwohner-Stadt im Münsterland. Viele gute Absichten seien da erklärt worden, erinnert er sich. "Für Klimaschutz einsetzen." Das sei immer wertvoll, sagt er. Aber in diesem Dokument fehlte seiner Meinung nach etwas. Etwas Entscheidendes: ein klares Ziel. 

Als ehemaliger Leiter des Fachdienstes Umwelt und Grün der Stadt Beckum wusste er aber, wie wichtig Ziele für den Klimaschutz sind. "Sie sind ein Gradmesser: etwas, an dem man sich messen lassen kann." Deshalb fasste Heuckmann einen Beschluss: Er musste an den Rat der Stadt Ennigerloh schreiben.

Heuckmann lebt in einem klimafreundlichen Haus mit Naturgarten und Solaranlage auf dem Dach. Er ist seit Jahrzehnten im Klima- und Umweltschutz aktiv. Seine beruflichen Erfahrungen aus Beckum, ebenfalls einer Vorreiterkommune im Klimaschutz, motivieren ihn, auch in Ennigerloh etwas zu bewegen.

Bei "WDR aktuell auf Tour - Nachrichten live erleben" besuchen Online-Reporterinnen, Radio-Moderatoren und TV-Redakteurinnen aus dem WDR-Newsroom im September Städte in NRW. Am 24. September sind wir in Ennigerloh:

1,5 Seiten Text und ein Beschlussvorschlag

Er verfasste ein Schreiben von etwa 1,5 Seiten. Ans Ende setzte er einen Beschlussvorschlag und den entscheidenden Satz: "Die Stadt Ennigerloh bekennt sich ausdrücklich zu dem Ziel, die Produktion von 100 Prozent erneuerbare Energien im Stromsektor im Stadtgebiet bis 2025 voranzutreiben." 

Das Rathaus von Ennigerloh | Bildquelle: WDR / Rüdiger Wölk

Als Heuckmann seinen Antrag stellte, wussten die Verantwortlichen in der Stadt längst über seinen Plan Bescheid. Er hatte mit ihnen gesprochen, noch bevor sie im Rat darüber entscheiden sollten. Viele hatten damals Redebedarf. "Sie konnte sich das erst nicht vorstellen“, erinnert sich Heuckmann. Sie hätten Sätze gesagt wie: "Das ist aber kurzfristig" oder "Geht das überhaupt?". Heuckmann erklärte: "Ja, das geht." Er sei ein sehr rationaler Mensch.

"Ich habe mir diese Zahlen gut überlegt. Das ist kein Hexenwerk." Heinz-Josef Heuckmann, Bürgerantragsteller

In seinem Antrag von 2021 legte Heuckmann deshalb auch dar, dass laut Energieatlas NRW in Ennigerloh 2018 etwa 50 Prozent des verbrauchten Stroms (ohne Zementwerke) lokal erneuerbar erzeugt wurden. Davon stammten etwa 18 Prozent aus Windenergie-, 15 aus PV- und 17 aus Bio-/Deponiegasanlagen. Basierend auf diesen Daten argumentierte er, dass es realistisch möglich sei, in naher Zukunft 100 Prozent lokale Erneuerbare Energien im Stromsektor für Ennigerloh zu erreichen.

Was genau ist damit gemeint? Die Stadtverwaltung von Ennigerloh erklärt: "Das bedeutet, dass der Strombedarf der Stadt Ennigerloh durch auf dem Stadtgebiet produziertem erneuerbaren Strom gedeckt ist." Es soll also genau so viel Strom erneuerbar produziert werden, wie auf dem Stadtgebiet auch wieder verbraucht wird — mit Ausnahme der Industrie.

"Windenergie auf etwa 70 Prozent steigern"

Windrad | Bildquelle: BR

Um das zu schaffen, schlug Heuckmann in seinem Antrag auch vor, den Anteil an Strom aus Windenergie auf etwa 70 Prozent zu steigern. Dies würde die Errichtung von etwa sieben bis zehn modernen Windrädern inklusive des Repowerings bestehender Anlagen bedeuten. Er betonte außerdem die Wichtigkeit eines verantwortungsvollen Ausbaus der Windenergie in lokaler Hand, mit offenem Umgang inklusive Bürgerinformation und -diskussion, Einbindung von Anliegern, Integration von Bürgerbeteiligung und vertrauensvoller, verlässlicher Zusammenarbeit zwischen Projektträgern sowie Rat und Verwaltung.

Als es dann zur Abstimmung kam, wurde Bürgerantrag einstimmig angenommen, sagt Heuckmann. Ein wichtiges Puzzleteil für die Erfolgsgeschichte der Energiewende in Ennigerloh. 

Ziel schon erreicht

Schon 2024 gibt es derweil etwas zu feiern in Ennigerloh. Das ehrgeizige Ziel von damals ist längst Realität geworden. Isabel Brüggemann-Messing von der Energielenker GmbH, die die Stadt bei ihrem Vorhaben unterstützt, sagt: "Bereits heute deckt die Stadt Ennigerloh den beschlossenen Anteil von 100 Prozent erneuerbare Energien im Stromsektor (ohne Industrie)." Bei steigendem Strombedarf sei nach aktuellem Ausbaustand und den gesicherten weiteren Bauprojekten davon auszugehen, dass diese Deckung auch 2025 noch zu 100 Prozent erfolgen könne.

Die Industrie ist erst mal noch weiter ausgenommen. Wegen des hohen Strombedarfs der Industrie erscheine es auf kurzer Sicht, auch durch den begrenzten Einfluss der Stadt Ennigerloh, als schwierig, das Ziel "100 Prozent Strom aus erneuerbarer Energie"  kurzfristig zu erreichen, sagt Isabel Brüggemann-Messing. Das neue Klimaschutzkonzept der Stadt habe sich aber auch mit dem Sektor der Wirtschaft beschäftigt. "Es enthält bereits erste Maßnahmen, um den Industriesektor bei der Transformation zu unterstützen und auch hier die Treibhausgasneutralität zu erreichen."

Viele Menschen in Ennigerloh sind für den Erfolg verantwortlich

Am Erfolg haben neben Heuckmann auch andere Menschen aus der Stadt einen Anteil. Bürgerinnen und Bürger, die sich auch aktiv für den Klimaschutz einsetzen. Politiker. Und Mitarbeitende der Verwaltung in Ennigerloh. Sie haben das Vorhaben unterstützt. Die Politik etwa, indem sie Entschlüsse gefasst habe, die es brauchte, um das Ziel zu erreichen. Die Verwaltung, indem sie diese Beschlüsse umgesetzt habe, sagt Heuckmann. So seien zum Beispiel Flächen für Windräder konsequent überall dort freigegeben worden, wo es rechtlich möglich gewesen sei. 

Klimaschutz hat in der Stadt einen hohen Stellenwert. Die Stadtverwaltung erklärt: "Das Thema Klimaschutz wird in Ennigerloh von allen Fraktionen als besonders wichtig angesehen. Der große Zuspruch seitens der Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Politik ermöglicht es, entsprechende Projekte anzustoßen und teilweise neue und unkonventionelle Lösungen zu finden."

In Ostenfelde klagen Menschen gegen geplante Windräder

Doch der Weg zum Ziel ist nicht ohne Hindernisse. Aktuell gebe es Klagen gegen geplante Windräder in Ostenfelde. Trotzdem bleibt die Stadtverwaltung optimistisch. "Die mögliche Gefahr von Klagen darf die Stadt nicht davon zurückschrecken, die gesetzten Ziele im Klimaschutz zu erreichen.“ 

Isabel Brüggemann-Messing von den Energielenkern erklärt: Die neuen Windkraftanlagen in Ennigerloh-Ostenfelde könnten ein wichtige Schritt sein, einen Deckungsanteil von 100 Prozent erneuerbarem Strom am gesamten Strombedarf inklusive Industrie zu erreichen. Neben Ostenfelde befänden sich aber auch noch andere Windkraftanlagen in Planung, die dabei helfen könnten.

Klimaschutz im Münsterland - 65 Kommunen machen mit

Blick auf das historische Rathaus in Münster | Bildquelle: dpa / Friso Gentsch

Im Münsterland ist Ennigerloh mit seinem Engagement im Klimaschutz indes in guter Gesellschaft. Im Mai bekannten sich 65 Kommunen beim Klimagipfel Münsterland zu mehr lokalem Klimaschutz und zu einer verstärkten regionalen Zusammenarbeit. Zusammengekommen waren sie auf Einladung des Vereins Münsterland, der sich insbesondere auch für den Klimaschutz in der Region einsetzt. Der Verein bringt die Entscheider für den Klimaschutz zum Beispiel regelmäßig an einen Tisch, damit sie sich austauschen können. Denn sie haben ähnliche Ziele wie Ennigerloh. Und auch die große Stadt Münster strebt Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 an.  

Aber auch Ennigerloh befasst sich schon mit Zielen für die nächsten Jahre. Der Rat der Stadt Ennigerloh tagt wieder am 30.09.2024. In dieser Sitzung soll die Fortschreibung des Klimaschutzkonzeptes beschlossen werden. Die Stadtverwaltung sagt, der Ausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt, Bauen und Verkehr habe schon Anfang September einstimmig die Empfehlung an den Rat ausgesprochen, diese Fortschreibung zu beschließen.

"Die Menschen mitnehmen"

Was bleibt, das sei die Notwendigkeit, die Menschen in der Stadt weiter mitzunehmen und viel zu reden über Ziele und Möglichkeiten - und sie auch an der Erzeugung lokaler regenerativer Energie teilhaben zu lassen. Möglich macht das auch die Bürger Energie Ennigerloh eG, die 2023 ins Leben gerufen wurde. Auch dort ist Heuckmann aktiv. Bei einer Sache aber hat er sich zurückgezogen. Er diskutiert nicht mehr über die Frage, ob es den Klimawandel gibt oder nicht.

"Für mich steht das fest, dass der Klimawandel da ist. Da rede ich in der Regel nicht mehr drüber. Das ist gesetzt." Heinz-Josef Heuckmann, Bürgerantragsteller

Jetzt gehe es deshalb darum, nach vorne zu schauen und Probleme zu lösen.

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