Keine Imame mehr aus der Türkei: Meilenstein oder bleibt alles beim Alten?
Stand: 14.12.2023, 18:48 Uhr
In deutschen Moscheen sollen in einigen Jahren keine von der Türkei geschickten Imame mehr predigen. Stattdessen wird die Ausbildung ausgebaut - auch in NRW. Doch es gibt Zweifel an den Plänen.
Von Christian Wolf
Schon seit längerer Zeit wird versucht, den Einfluss der Türkei auf die Moscheen in NRW und ganz Deutschland zu reduzieren. Denn was viele nicht wissen: Im Moment ist es noch so, dass die meisten Imame, die in den Moscheen des deutsch-türkischen Islamverbandes Ditib zu den Gläubigen sprechen, direkt aus der Türkei entsandt sind. Es handelt sich um türkische Staatsbeamte, die der Religionsbehörde Diyanet unterstehen und Weisungen aus Ankara folgen. Der türkische Staat unter Präsident Recep Tayyip Erdogan verfügt also über einen direkten Draht in die Moscheen hierzulande.
Ali Erbas ist Präsident der Religionsbehörde Diyanet
Kritik daran gibt es schon lange. Zuletzt war diese wieder größer geworden. Nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel hatte Diyanet-Chef Ali Erbas Israel als "rostigen Dolch im Herzen der islamischen Welt" bezeichnet. Solche Aussagen sind umso schwerwiegender, wenn man bedenkt, dass Erbas‘ Behörde bestimmt, was deutschen Muslime in den Ditib-Moscheen gepredigt wird.
Vereinbarung soll Entsendung beenden
In Zukunft könnte sich aber etwas ändern. Das Bundesinnenministerium hat am Donnerstag mitgeteilt, dass die Entsendung türkischer Imame nach Deutschland schrittweise beendet werden soll. Dafür gebe es eine entsprechende Vereinbarung mit Diyanet und Ditib.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Ziel sei es, dass künftig ausschließlich in Deutschland ausgebildete und Deutsch sprechende islamische Geistliche in deutschen Moscheegemeinden tätig sind. Dafür sollen die Ausbildungskapazitäten hierzulande erhöht und eine Entsendung ausländischer Imame parallel zur Zahl der Absolventen schrittweise beendet werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, künftig sollen pro Jahr 100 Imame in Deutschland ausgebildet werden, die die aus der Türkei entsandten Imame ablösen. Sie sprach von einem "Meilenstein für die Integration und die Teilhabe muslimischer Gemeinden in Deutschland".
Ditib wird wichtiger
Logo der Ditib
Wann genau die Ablösung der Imame startet und wann sie endgültig vollzogen sein wird, blieb am Donnerstag unklar. Auf jeden Fall wird das Vorhaben Jahre dauern. Fest steht nur, dass schon im nächsten Jahr die Fachaufsicht über die noch entsandten Diyanet-Imame auf die Ditib übergehen soll. Der Türkei-nahe Verband aus Köln unterhält die meisten Moscheegemeinden in Deutschland. Die Ditib übernimmt also die Verantwortung für das Personal.
Genau an der Stelle kann bezweifelt werden, ob die Vereinbarung wirklich ein "Meilenstein" ist, wie es die Innenministerin behauptet. Denn auch die Rolle der Ditib wird kritisiert. Dem Verband wird vorgeworfen, unter Einfluss der türkischen Regierung zu stehen und die Beheimatung von Musliminnen und Muslimen in der westlichen Gesellschaft zu untergraben und Abschottung zu fördern. Ändert sich dann überhaupt etwas?
Experte: Abhängigkeiten bleiben bestehen
Eren Güvercin hat große Zweifel. Das Gründungsmitglied der Alhambra Gesellschaft für Völkerverständigung, ein Zusammenschluss von europäischen Musliminnen und Muslimen, spricht zwar von einem "ersten zaghaften Schritt in die richtige Richtung". Aber:
Eren Güvercin ist auch Gründungsmitglied der Alhambra Gesellschaft für Völkerverständigung
Güvercin sieht deshalb keine Verbesserung. "Ob die Imame jetzt wie bisher unter der Dienstaufsicht der Religionsattaches der Diyanet in den Generalkonsulaten stehen oder jetzt nach dieser Einigung unter der Dienstaufsicht der deutschen Ditib, ändert bei diesen Abhängigkeiten, die nach wie vor existieren und nicht angetastet werden, rein gar nichts." Wohl auch deshalb habe Ankara der Einigung ohne große Probleme zugestimmt. "Der große Wurf ist diese Einigung nicht. Da müssen sich alle politischen Verantwortlichen bei uns ehrlich machen", schrieb Güvercin beim Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter).
Alternativen zur Ditib bei der Imam-Ausbildung
Auch an anderer Stelle kommt der umstrittenen Ditib eine wichtige Rolle zu. Denn sie soll sich in Zukunft auch um die Ausbildung der hiesigen Imame kümmern. In der Eifel-Gemeinde Dahlem (Kreis Euskirchen) betreibt der Verband seit 2020 eine Akademie. Die ersten 25 Teilnehmer schlossen 2022 ihre zweijährige Ausbildung ab. An dem zweiten Lehrgang nehmen aktuell 35 islamische Theologen teil - elf Männer und 24 Frauen.
Die Zahlen zeigen, dass die Ausbildung deutscher Imame noch in den Kinderschuhen steckt und massiv ausgebaut werden muss. Immerhin: Es gibt nicht nur den Weg über die Ditib. Das Bundesinnenministerium teilte am Donnerstag mit, dass auch eine Kooperation mit dem Islamkolleg Deutschland angestrebt werde. Das gibt es seit 2019 in Osnabrück. Das vom Bundesinnenministerium geförderte Kolleg ist die erste verbandsübergreifende und in Kooperation mit islamischen Theologen aus Deutschland gegründete Einrichtung für die Ausbildung von islamischen Geistlichen und Seelsorgern in deutscher Sprache. Im September erhielten die ersten 26 Absolventen ihre Abschlusszertifikate.
Für die Steuerzahler entstehen durch die geplante Förderung Kosten in Höhe von 500.000 Euro pro Jahr. "Wir möchten Imame ausbilden, die auf dem festen Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen", sagte der IKD-Vorsitzende Samy Charchira am Donnerstag. "Imame, die im Einklang sind mit der hiesigen Lebenswirklichkeit und dem Alltag von Muslimen in Deutschland."
Unsere Quellen:
- Bundesinnenministerium
- Nachrichtenagenturen dpa, epd und KNA
- Eren Güvercin bei X
- Islamkolleg Deutschland