Diversity-Tag 2024: Wie klappt die Inklusion im WDR?

Jan Gropp ist im WDR die erste Ansprechperson, wenn es um mehr Inklusion und Barrierefreiheit geht. Im Interview verrät er, warum das Thema Leben mit Behinderung beim diesjährigen Diversity-Tag der Charta der Vielfalt in der gesamten ARD in den Fokus rückt.

Der Diversity-Tag beleuchtet am 28. Mai 2024 in der ARD das Thema Menschen mit Behinderung. Wie kam es dazu?

Jan Gropp: Ich sitze im Diversity Board der ARD und vertrete die Schwerbehindertenvertretungen. Gemeinsam mit zwei weiteren Kolleg:innen mit Behinderung aus anderen ARD-Sendern haben wir uns dafür stark gemacht, das Thema als eines von vielen Facetten von Diversität aufzugreifen.

Warum gerade jetzt?

Jan Gropp: Es wurde einfach Zeit! Nach der Diskussion um Inklusion in der Schule, die wir seit Jahren führen, ist das Thema aktuell etwas aus dem Fokus geraten. Wir sind an einem Punkt, wo wir Menschen mit Behinderung nicht ignorieren können – beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt: Uns fehlen Fachkräfte. Wir haben in Deutschland ungefähr acht Millionen Menschen mit Schwerbehinderung. Das ist ein Zehntel unserer Gesellschaft. Natürlich stehen dem Arbeitsmarkt nicht alle zur Verfügung. Aber ein Großteil könnte bei der Besetzung von Stellen hilfreich sein.

Laut Gesetz müssen 5 Prozent der Mitarbeitenden eine Schwerbehinderung haben – viele Betriebe umgehen diese Quote gegen eine Ausgleichzahlung. Wie sieht das beim WDR aus?

Jan Gropp: Unsere aktuelle Quote liegt bei 7,15 Prozent. Das entspricht 319 Mitarbeitenden mit Behinderung. Natürlich wünsche ich mir mehr. Aus meiner Sicht ist diese Quote nicht mehr zeitgemäß. Aber es ist eine Sache des Gesetzgebers. Eine Idee wäre, sich die Quote der Menschen mit Behinderung in der Gesamtbevölkerung anzuschauen und diese auf das Arbeitsleben zu übertragen.

Mehr zu wollen, kann einen Anschub geben. Oder?

Jan Gropp: Genau. Unsere Quote ist seit Jahren recht stabil. Deshalb sind wir auch besonders froh, dass der WDR regelmäßig Menschen mit Behinderung in Ausbildung bringt. Im September 2024 starten fünf junge Menschen mit einer Schwerbehinderung in drei verschiedenen Berufsbildern ihre Ausbildung im WDR: Dabei sind die Bereiche ganz unterschiedlich – in der IT, als Mediengestalterin Bild und Ton oder auch in den kaufmännischen Berufen.

Wie sieht die Arbeit als Vertreter für Menschen mit Behinderung im WDR aus?

Jan Gropp:
Sehr vielfältig (lacht). Das Schönste an dieser Arbeit ist, dass ich um zehn Uhr nicht das mache, was ich bereits um neun Uhr gemacht habe. Ich berate und begleite Menschen in unabhängiger Funktion. Das beginnt bei Mitarbeitenden, die noch keinen Grad der Behinderung haben. Gemeinsam mit meinem Team unterstütze ich bei der Antragstellung. Manchmal geht es auch um die Ausstattung am Arbeitsplatz, oder darum, Kostenübernahme sicherzustellen. Außerdem nehme ich an Sitzungen des Personalrats in beratender Funktion teil oder sitze in verschiedenen Ausschüssen wie etwa zu Arbeitssicherheit oder Diversity. Geht es um Gesundheitsmanagement oder Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), bin ich derjenige mit dem guten Draht zur Gebäudewirtschaft. Ich kann nicht für jede Behinderung alles kennen – aber ich kann dabei helfen, Lösungen zu finden.

Mehr zum Thema Menschen mit Behinderung im WDR und die Aufgaben der SBV

Also beziehen sich die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung nur auf Mitarbeitende im WDR?

Jan Gropp: Vor kurzem haben wir zwei Führungen im WDR für Menschen mit Behinderungen gemacht. Einmal für Gehörlose mit Gebärdensprachdolmetschenden und zusätzlich hatten wir eine Gruppe mit 35 an MS erkrankten Personen für eine Stunde im WDR. Sie haben sich die Studios angeschaut und anschließend gab es noch eine kleine Diskussionsrunde im Kleinen Sendesaal des WDR Funkhaus. Das bedeutete für das Team des Besucherservices und mich: Alles musste vorab gut organisiert sein. 19 Personen aus der Führung saßen im Rollstuhl. Das erfordert eine gute logistische Planung – und in dem Fall brauchten wir eine Einweisung für die großen Lastenaufzüge vor Ort und eine Sondergenehmigung. Auch ich lerne immer dazu!

Wie ist der WDR in Sachen Barrierefreiheit aufgestellt?

Jan Gropp:
Im WDR gelingt Barrierefreiheit recht gut: Seit einigen Jahren gestalten wir die Gebäude nach und nach barrierefreier. Bei alten Bestandsgebäuden ist das natürlich aufwändiger als bei Neubauten. Gedacht wurde beispielsweise an eine Sprachausgabe in allen Aufzügen, die renoviert wurden. Dass die alten Aufzüge teilweise nicht groß genug sind für moderne Rollstühle lässt sich nicht ändern. Da sind wir ressourcenorientiert und finden bei Bedarf individuelle Lösungen. Aber bisher haben wir alle dorthin bekommen, wo sie hinwollten! Barrieren können aber auch andernorts aufkommen, etwa am festen Arbeitsplatz. Bei IT-Anwendungen etwa sollten wir noch besser werden.

Kann ich selbst etwas tun, um Barrieren abzubauen?

Jan Gropp: Gedankenlosigkeit führt hin und wieder zu Barrieren. Abgestellte Fahrräder nahe eines Notausgangs oder vor breiten Türen etwa können Barrierefreiheit einschränken. Der Alltag zeigt: Viele bedenken noch nicht, dass ihr Verhalten für Menschen mit Behinderung – und in diesem Fall Menschen im Rollstuhl – bedeuten kann, einen großen Umweg auf sich nehmen zu müssen.

Hier ist Platz für Wunschträumereien: Was darf in Zukunft nicht fehlen?

Jan Gropp: Zwei Dinge würden aus meiner Sicht die Welt für Menschen mit Behinderung vereinfachen: Wenn die Barrieren in den Köpfen der Menschen verschwinden und die Gesetzgebung auch private Firmen dazu verpflichten würde, Barrierefreiheit zu gewährleisten.

Jan Gropp ist gewählt als Vertreter der Menschen mit Behinderung im WDR. Damit vertritt er die Belange von mehr als 320 Mitarbeitenden im WDR. Auf jede Anfrage zu Inklusion, Barrierefreiheit oder Leben mit Behinderung findet die Schwerbehindertenvertretung (SBV) im WDR eine individuelle Lösung und bietet ein umfassendes Beratungsangebot. Auch wenn die Arbeit im WDR auf Augenhöhe gelingt, erlebt Jan Gropp hin und wieder, dass Behinderung „verniedlicht“ wird – das macht ihn fassungslos. Eine Behinderung ist immer nur ein kleiner Teil eines Menschen. Wir alle sind doch so viel mehr als nur eine Komponente.