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Demonstration vor den Kammerlichtspielen in München gegen die Aufführung des Films "Unsterbliche Geliebte" (BRD 1950) von Veit Harlan

15. Januar 1958 - Das "Lüth-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit

Der NS-nahe Filmregisseur Veit Harlan setzt nach dem Krieg seine Karriere fort. Als ein Publizist zum Boykott von Harlan aufruft, landet der Fall vor Gericht. Der Streit endet mit einem Urteil aus Karlsruhe.

Veit Harlan ist in den 1950er-Jahren einer der bekanntesten und umstrittensten Regissseure. Er hat eine NS-Vergangenheit. Sein antisemitischer Film "Jud Süß" aus dem Jahr 1940 ist ein "Blockbuster" der Nazi-Zeit: Mehr als 20 Millionen Zuschauer lockt der von den Nationalsozialisten in Auftrag gegebene Propaganda-Film in die Kinos.

Freispruch für Nazi-Propagandaregisseuer

Veit Harlan filmt mit einer Schmalfilm-Kamera, 1954

Veit Harlan

Nach Kriegsende ist Veit Harlan der einzige Künstler des "Dritten Reichs", der sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten muss - auch weil sein Film "Jud Süß" dem millionenfachen Mord an den Juden Europas den Weg bereitet und zur Enthemmung der Täter beigetragen haben soll. Doch 1949 wird Harlan freigesprochen.

Erich Lüth, ein friedensbewegter Publizist aus Hamburg, empört sich darüber. Dass Harlan in der Bundesrepublik nahtlos an seine Erfolge aus der NS-Zeit anknüpfen will, kritisiert er 1950 sehr deutlich und nennt Harlan den "Nazifilm-Regisseur Nr.1". Lüth ruft zudem zum Boykott von Harlans neuem Film "Unsterbliche Geliebte" auf.

Das bahnbrechende Lüth-Urteil (am 15.1.1958)

WDR Zeitzeichen 15.01.2023 14:47 Min. Verfügbar bis 15.01.2099 WDR 5


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Einstweilige Verfügung wegen Boykott-Aufruf

Erich Lüth (l) 1958 als Vorsitzender des Hamburger Presseclub neben Hans Albers

Erich Lüth (l) 1958 als Vorsitzender des Hamburger Presseclubs neben Hans Albers

Harlans Filmproduzenten verklagten daraufhin den Pressechef des Hamburger Senats. Der Boykott-Aufruf sei sittenwidrig. Das Landgericht Hamburg verhängt eine einstweilige Verfügung gegen Lüth. Sein Boykott-Aufruf wird untersagt, andernfalls drohen ihm 100.000 Mark Strafe - ein Betrag, der für den Beamten existenzgefährdend ist.

Aufgeben will Lüth trotzdem nicht. Er geht den damals noch völlig ungewöhnlichen Weg und zieht vor das Bundesverfassungsgericht. Dort bleibt seine Klage allerdings jahrelang liegen. Lüth: "Ich wurde in allen Instanzen verurteilt und dann nach sieben Jahren, nachdem alle mir schon alle den Rücken gekehrt hatten, erhielt ich vor dem Bundesverfassungsgericht das obsiegende Urteil."

Urteil stärkt Grundrecht auf Meinungsfreiheit

1958 heißt es in der Begründung des höchsten Gerichts: "Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung steht über dem bürgerlichen Recht. Das Grundgesetz muss demnach als Wertesystem betrachtet werden, das Ausstrahlungswirkung auch auf das bürgerliche Recht hat."

Es ist ein epochales Urteil mit weitreichender Strahlkraft, erklärt Andreas Voßkuhle, ehemaliger Vorsitzender des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe: "Das Besondere war, dass zum ersten Mal das Bundesverfassungsgericht sich in einem Zivilrechtsstreit einschaltete und etwas feststellte, was sich als bahnbrechend erweisen sollte. Nämlich, dass die gesamte Rechtsordnung und auch die Zivilrechtsordnung, wo es um die Privatrechtsordnung untereinander geht, dass die gesamte Zivilrechtsordnung geprägt wird durch die Grundrechte."

Autorin des Hörfunkbeitrags: Anja Arp
Redaktion: David Rother

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 15. Januar 2023 an das "Lüth-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

ZeitZeichen am 16.01.2023: Vor 90 Jahren: Die US-amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag wird geboren