Kulturkampf zwischen Berlin und Rom: Reichskanzler Bismarck und Papst Pius IX. spielen gegeneinander Schach (Holzstichkarikatur aus "Kladderadatsch" von 1875)

19. Juni 1872 - Der Reichstag verabschiedet das Jesuitengesetz

Stand: 14.06.2022, 15:45 Uhr

Kirche oder Staat? Im 19. Jahrhundert tobt ein "Kulturkampf" um die Vormacht in Deutschland. Der Vatikan setzt auf seine Speerspitze: die Jesuiten. Doch das lässt sich Reichskanzler Bismarck nicht gefallen.

Die Vorgeschichte reicht weit zurück: Mitte des 16. Jahrhunderts gründet Ignatius von Loyola den Jesuiten-Orden. Sein Hauptanliegen ist die Mission. Die straff organisierte Gemeinschaft gelobt dem Papst uneingeschränkten Gehorsam. Er schickt sie in die Welt. Schon bald gelten sie als Elitetruppe der katholischen Kirche.

Dank ihrer Offenheit gegenüber Wissenschaft und Forschung bilden die Jesuiten die intellektuelle Waffe gegen die Reformation. Als Lieblinge des Papstes haben sie allerdings auch Feinde in der katholischen Kirche. Ihre Lehre vom "inneren Vorbehalt" wird ihnen negativ ausgelegt: Die Ansicht, dass Notlügen zugunsten der Menschlichkeit erlaubt sind, werden als Verschlagenheit gewertet.

Der Reichstag vearabschiedet das Jesuitengesetz (am 19.06.1872)

WDR Zeitzeichen 19.06.2022 14:43 Min. Verfügbar bis 19.06.2099 WDR 5


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Vorurteil gegen "Landplage"

"Jesuitisch" wird zum Schimpfwort und noch heute abwertend gebraucht - laut Duden im Sinne von "geneigt, andere durch Wortverdrehungen und Spitzfindigkeiten zu übervorteilen". Dieses Vorurteil nutzt auch Reichkanzler Otto von Bismarck, als er schreibt: "Gut ist es immer, unser Vaterland vor dieser Landplage zu hüten."

Damals schwindet der Einfluss des Vatikan. Die Gründung europäischer Nationalstaaten - wie des Deutschen Reiches - steht im Gegensatz zur Idee der von Rom dominierten Weltkirche. Papst Pius IX. verurteilt deshalb bereits 1864 sämtliche religiösen und politischen Lockerungen seit der Aufklärung.

"Kulturkampf" gegen Rom

Doch Bismarck will nicht zulassen, dass deutsche Bürger vom Papst gesteuert werden. Er setzt auf die Trennung von Kirche und Staat. Als sich 1870 die Zentrumspartei gründet, sieht Bismarck in der katholischen Partei den verlängerten Arm Roms, eine "Schwarze Internationale".

Der Reichskanzler reagiert mit mehreren Anti-Rom-Aktionen, dem "Kulturkampf". Dazu gehört die Einführung von Zivilehe und Standesämtern. Ein Affront: Bis dahin haben ausschließlich Priester Ehen geschlossen.

Erst 1917 aufgehoben

Bismarck führt auch den Kanzelparagraf ein, der es Geistlichen verbietet, politische Ereignisse zu kommentieren. Mit dem Brotkorbgesetz kann der Staat finanzielle Hilfen an die Kirche sperren. Und am 19. Juli 1872 bringt Bismarck im Reichstag ein Gesetz durch, das den Jesuiten-Orden als unpatriotisch und reichsfeindlich verbietet.

Nach dem Tod von Pius IX. wählen die Kardinäle mit Leo XIII. einen kompromissbereiten Papst. Mit ihm nimmt das Reich wieder diplomatische Beziehungen zur Kirchenzentrale in Rom auf, die meisten Gesetze werden gemildert. Das Jesuitengesetz hebt der Reichstag allerdings erst 1917 auf - lange nach Bismarcks Tod.

Autor des Hörfunkbeitrags: Wolfgang Meyer
Redaktion: Matti Hesse

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 19. Juni 2022 an die Verabschiedung des Jesuitengesetztes. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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