01.10.1974: Urteil im sogenannten "Lesben-Mord-Prozess"

Zwei Frauen werden am Landgericht Itzehoe wegen Mordes verurteilt. Doch für die eigentliche Tat interessiert sich kaum jemand. Stattdessen wird ihre lesbische Liebe zum Skandal.

Anfang der 1970er Jahre gründen sich überall in Deutschland Schwulen- und Lesbengruppen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Im Gegensatz zur männlichen ist weibliche Homosexualität zwar nicht verboten, aber in den Siebzigern gesellschaftlich ein großes Tabu. Und nicht nur Homosexualität, auch die Gleichberechtigung von Frauen wird nur zögerlich akzeptiert. Gewalt in der Ehe ist Privatsache, Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand.

Das muss auch Marion Ihns erfahren. Als sie sich von ihrem Mann Wolfgang scheiden lassen will, willigt dieser nicht ein. Jahre später lernt Marion Ihns bei einem Besuch in Dänemark die zehn Jahre jüngere Judy Andersen kennen - und lieben. Doch Wolfgang verweigert ihr weiterhin die Scheidung. Wenig später ist er tot, getötet von einem Auftragsmörder.

Doch für die eigentliche Tat interessiert sich kaum jemand, der Mörder wird schnell zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Stattdessen wird die lesbische Liebe der Frauen zum Skandal. Die Boulevardpresse macht aus dem Mordprozess einen "Lesben-Prozess". Lange bevor er überhaupt losgeht, macht die BILD-Zeitung schon Stimmung. Die Texte sind voller homophober Klischees. Die Berichterstattung eskaliert mit dem Prozessauftakt im Sommer 1974.

Doch die Frauen der Bundesrepublik lassen sich die Diffamierung nicht gefallen. Der Prozess wird zum Schlüsselereignis der Frauenbewegung. Während des Prozesses kommt es zu Protesten und Tumulten vor und auch im Gerichtssaal.

Am 01. Oktober 1974 werden beide Frauen wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Der Prozess macht Gewalt gegen Frauen zu einem Kernthema der zweiten Frauenbewegung und regt unter anderem Alice Schwarzer dazu an, die "Emma" zu gründen.


In diesem Zeitzeichen erzählt Laura Dresch:

  • Wie Frauen in den 1970er Jahren von ihren Ehemännern abhängig sind,
  • mit welchen Schlagzeilen die Presse gegen die lesbischen Frauen hetzt,
  • wie die beiden Frauen beim Prozess regelrecht vorgeführt werden,
  • dass während der Verhandlung zum ersten Mal fotografiert werden darf,
  • wie wichtig der Prozess für die Frauenbewegung ist.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:

  • Dr. Sarah Bornhorst (Kuratorin für Zeitzeugenarbeit, Stiftung Berliner Mauer)
  • Monne Kühn (Aktivistin und Teilnehmerin an den Protesten in Itzehoe)
  • Urteil des Prozesses, Landgericht Itzehoe, 1974
  • Pressedokumentation zum Mordprozess gegen Marion Ihns und Judy Andersen, Berichtszeitraum: 1973-1987, einsehbar im Archiv FrauenMediaTurm, Köln, Signatur: Pressedokumentation / PD-LE.11.07 / Objekt-Nr.: 13431
  • Bornhorst, Sarah: 1974. Lesben vor Gericht und auf den Barrikaden: Der Itzehoe-Prozess und die Lesbenbewegung, in: Agnes Bresselau von Bressensdorf, Jürgen Finger, et. al (Hg.): Kipppunkte. Momente des Wandels im 20. Jahrhundert, Göttingen 2024, S. 245-258.
  • Bayramoğlu, Yener: Die kriminelle Lesbe. Die Kriminalisierung des lesbischen Subjekts in den 1970er-Jahren in der BILD-Zeitung, in: Ders. [Hg.]: Queere (Un-)Sichtbarkeiten. Die Geschichte der queeren Repräsentationen in der türkischen und deutschen Boulevardpresse, Bielefeld 2018, S. 223-235.

Weiterführende Links:

Unser Hör-Tipp: “Der Zerfall Babylons” - Im Podcast geht Volker Kutscher, Bestseller-Autor der Gereon Rath-Reihe und damit der Vorlagen für “Babylon Berlin”, auf eine Zeitreise in die Jahre 1929-1938: Was hat die Menschen damals angetrieben und wie kam es zur Machtergreifung Hitlers.

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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autorin: Laura Dresch
Redaktion: Carolin Rückl und David Rother