Die österreichischen Schriftsteller Ernst Jandl und Friederike Mayröcker erhalten für ihr Hörspiel "Fünf Mann Menschen" den Hörspielpreis der Kriegsblinden vom Vorsitzenden des Bundes der Kriegsblinden Franz Sonntag (r) am 22. April 1969 in Bon

9. März 1952 - Hörspielpreis der Kriegsblinden erstmals verliehen

Stand: 02.03.2022, 18:31 Uhr

Als erster Autor erhält Erwin Wickert am 9. März 1952 für die Produktion "Darfst du die Stunde rufen?" den Hörspielpreis der Kriegsblinden. Die Auszeichnung entwickelt sich zum wichtigsten Preis seiner Art.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschland zerstört. Theater und Kinos liegen in Trümmern. Zeitungen und Bücher sind rar. Fernseher haben die Wohnzimmer noch nicht erobert. Es ist die Blütezeit des Radios. Und mit ihm wird ein Format immer populärer: das Hörspiel.

"Millionen saßen abends zu Hause und hörten gemeinsam in der Familie. Das war wunderbar", so der Journalist und Schriftsteller Friedrich Wilhelm Hymmen, den jedoch eine Sache ärgert: "Dass dieses Kulturinstrument in der Presse tot geschwiegen wurde."

1. Hörspielpreis der Kriegsblinden verliehen (am 09.03.1952)

WDR Zeitzeichen 09.03.2022 14:58 Min. Verfügbar bis 09.03.2099 WDR 5


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Hymmen möchte das Anfang der 50er-Jahre ändern, eine Art Literaturpreis für Hörspiele soll her. Als Pressereferent beim Bund der Kriegsblinden möchte er im Krieg erblindete Menschen, die intensiv Radio hören und aus ganz verschiedenen Berufsgruppen kommen, für die Jury gewinnen - zusammen mit professionellen Kulturschaffenden.

Hymmen, der selbst im Krieg kurzzeitig das Augenlicht verliert, weiß, dass das Medium Radio für Blinde oft die einzige Möglichkeit der kulturellen Teilhabe bietet. Ihnen verspricht er mehr Anerkennung in der Gesellschaft, an der es Kriegsversehrten in der jungen Bundesrepublik oft mangelt.

Von der Lebenshilfe zur Kunstform

So verleiht die Jury aus blinden Laien und Fachkritikern, der Hymmen vorsitzt, am 9. März 1952 zum ersten Mal den Hörspielpreis der Kriegsblinden. Er geht an Erwin Wickerts "Darfst Du die Stunde rufen?", das sich um Freitod und Sterbehilfe dreht. Damit spricht es den Hörer "vom Menschlichen her an und hilft, mit dem Dasein besser fertig zu werden". So lautet nämlich der Anspruch an die nominierten Stücke - zumindest zu Beginn.

Doch die Kriterien, Lebenshilfe und Anleitung zu liefern, ändern sich allmählich. Das wird spätestens mit der Auszeichnung von "Fünf Mann Menschen" von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker 1969 klar. Das Hörspiel ist experimentell, poetisch und hochpolitisch. Es ist die Geburt des sogenannten Neuen Hörspiels, das nach innovativen Formen sucht. Es spielt mit Sprache, Klängen und Räumen. Es traut sich mehr, erzählt Geschichten nicht immer geradeaus - und ist oft nicht ganz leicht verdaulich.

Bachmann, Dürrenmatt, Schlingensief

In seinen mehr als 40 Jahren als Juryvorsitzender erlebt Hymmen illustre Preisträger wie Friedrich Dürrenmatt, Günter Eich, Ingeborg Bachmann, Christoph Schlingensief und Elfriede Jelinek. Trotzdem glaubt er nicht an eine große Zukunft für Hörspiele und seine Auszeichnung: "Es ist unwahrscheinlich, dass der Hörspielpreis das fünfzigste Jahr erreicht", prognostiziert Hymmen 1992.

Der Journalist irrt. Noch heute ist er die bedeutendste Ehrung für Autoren deutschsprachiger Hörspiele - inzwischen 70 Jahre nach der ersten Preisverleihung.

Autoren des Hörfunkbeitrags: Ulrich Biermann und Veronika Bock
Redaktion: Gesa Rünker​

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