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Buchcover: "Ein menschlicher Fehler" von Kim Hye-jin

Lesefrüchte

"Ein menschlicher Fehler" von Kim Hye-jin

Stand: 02.08.2024, 12:19 Uhr

Eine Psychotherapeutin, eine Drittklässlerin und eine Katze begegnen sich nachts in den menschenleeren Straßen von Seoul. Einfühlsam und philosophisch erzählt Kim Hye-jin von einer unverhofften und heilenden Begegnung.

Seoul bei Nacht. Erst wenn es dunkel ist und die Straßen menschenleer sind, verlässt Hae-Su den sicheren Schutz ihres Hauses. Denn nach einer unbedachten Aussage in einer Fernsehsendung vor einem Jahr, wird sie immer wieder mit der furchteinflößenden Neugier ihrer Mitmenschen konfrontiert.

Ein Fehltritt, der eine Welle von Hasskommentaren und Drohnachrichten nach sich zieht und ihr Leben völlig auf den Kopf stellt. Sie verliert ihren Job in einem Therapiezentrum und damit ihr Ansehen als Psychotherapeutin. Und auch ihre privaten Beziehungen leiden. Ihr Partner trennt sich und der Kontakt zu ihrer besten Freundin reißt ab.

Nach und nach zieht sie sich immer mehr in sich selbst zurück und verliert Stück für Stück den Anschluss zur Welt. Doch dann lernt sie auf einem ihrer nächtlichen Spaziergänge Se-I kennen. Ein zehnjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft, das wie Hae-Su weiß, was es bedeutet, nicht dazu zu gehören. In der Schule wird Se-I von den anderen Kindern ausgegrenzt und gemobbt. Nach der Schule sucht sie Zuflucht bei den Straßenkatzen des Viertels.

So auch an dem Abend, an dem Hae-Su ihr das erste Mal begegnet. Die beiden nehmen sich einer Katze an, die stark verletzt ist und von Se-I "Rübe" genannt wird. Gemeinsam schmieden sie einen Rettungsplan. Dabei kommen sich die beiden Protagonistinnen, die über 30 Jahre trennt, näher und entwickeln eine tiefe und berührende Freundschaft, die sie aus ihrer Einsamkeit befreit.

In einem einfühlsamen, sanften und sehr bildlichen Stil erzählt Kim Hye-jin die Geschichte von zwei Außenseiterinnen in einer Gesellschaft, die keine Fehler erlaubt und von der heilenden Kraft einer zufälligen Begegnung. Dabei verhandelt sie auf subtile, aber ausgesprochen eindringliche Art und Weise die Macht von Worten und ihre Grenzen und reflektiert das Verhältnis von menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen und gesellschaftliche Meinungsbildung und Fehlerkultur.

"Ein menschlicher Fehler" ist ein im besten Sinne philosophischer Roman, der zum Nachdenken einlädt und noch weit über die letzte Seite hinaus nachhallt. Ein Buch, das Hoffnung spendet und an die Möglichkeit von Neuanfängen glauben lässt.

Eine Rezension von Amanda Andreas

Literaturangaben:
Kim Hye-jin: Ein menschlicher Fehler
Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee
Hanser Berlin, 2024
224 Seiten, 23 Euro