Lesefrüchte

"Ich möchte lieber nichts" von John von Düffel

Stand: 13.12.2024, 13:35 Uhr

"Es geht darum zu erkennen, wie wenig man braucht", schrieb John von Düffel in seinem Buch "Das Wenige und das Wesentliche", an das er nun anknüpft.

Es ist einer der berühmtesten Sätze der Weltliteratur: "Ich möchte lieber nicht." In der Erzählung "Bartleby" von Herman Melville hält sich ein Büroangestellter gleichen Namens mit diesen Worten zunächst einzelne Tätigkeiten und schließlich die ganze Welt vom Leib. Der Totalverweigerer landet im sozialen Abseits und stirbt zuletzt.

Der Verzicht, den der Schriftsteller John von Düffel im Sinn hat, soll dagegen gerade nicht in die Isolation führen, sondern das Leben reicher machen. Diese asketische Lebenshaltung begegnete John von Düffel erstmals während des Studiums in Schottland. Fiona, die nur auf einem Stein sitzen und denken wollte, wurde zu seinem Vorbild. "Ich möchte lieber nichts" – "I dont’t feel like consuming", so lautete ihre Standardantwort auf das Angebot, mit in die Mensa oder die Kneipe zu kommen.

Nach 35 Jahren trifft er sie in Edinburgh wieder. Er will herausfinden, wie Fiona lebt, was geblieben ist von ihrer Radikalität. Von der Begegnung erzählt das neue Buch. Zwei Tage bleibt der Ich-Erzähler, der von John von Düffel kaum zu unterscheiden ist, in Edinburgh. Während er mit großen Fragen nach dem richtigen Leben angereist ist, hat Fiona wenig Interesse daran, die Diskussionen aus den Philosophieseminaren von einst fortzusetzen. Sie wird viel zu sehr von ihrem fordernden Alltag als Mutter und Streetworkerin vereinnahmt, von dem sie jedoch nur zögerlich berichtet.

Das nur mühsam in Gang kommende Gespräch der beiden ist trotzdem erhellend – und das ist Fionas schroffer Direktheit zu verdanken. Das Idealbild, das der Ich-Erzähler von ihr entworfen hat, ohne sie je wirklich zu sehen, korrigiert sie. Fiona fehlte es schlichtweg an Geld, um mit den anderen essen zu gehen. Die Unterhaltung führt weg vom Nachdenken über Konsumverzicht und Askese hin zu Fragen von Herkunft und Status, von sozialen Prägungen und Beschränkungen, wie sie zuletzt immer häufiger auch in der Literatur verhandelt werden.

Das Buch wirkt auf eigentümliche, aber durchaus spannende Weise disparat und unfertig. Verstärkt wird dieser Eindruck durch einen Mittelteil mit mal mehr, mal weniger überzeugenden philosophischen und kulturkritischen Betrachtungen. John von Düffel will davon erzählen, welcher Freiheitsgewinn in der Askese liegt. Doch dazu taugt die Begegnung in Edinburgh nur wenig. Das Treffen macht vielmehr deutlich, in welchem Maß die freie Entscheidung zum Verzicht eine privilegierte Entscheidung ist.

Eine Rezension von Holger Heimann

Literaturangaben:
John von Düffel: Ich möchte lieber nichts. Eine Geschichte vom Konsumverzicht
DuMont Buchverlag, 2024
208 Seiten, 24 Euro