Lesefrüchte

"Wie ein wilder Gott" von Gianfranco Calligarich

Stand: 06.09.2024, 13:26 Uhr

Der Erzähler, der im Amt gealterte Präsident der Italienischen Geografischen Gesellschaft, lässt im Jahr 1933 in seiner Erinnerung die Expeditionen vorüberziehen, die der Offizier Vittorio Bottego von 1892 an in seinem Auftrag in Somalia durchführte.

Vor der Hand dienten sie der geografischen Erforschung der in Äthiopien entspringenden Flüsse Juba und Omo. Tatsächlich aber standen die Expansionsinteressen des italienischen Kolonialismus dahinter, der in Ostafrika ein Imperium aufbauen wollte.

Wes Geistes Kind diese Interessen waren, zeigte sich schon an der Brutalität, mit der Bottego seine aus Einheimischen zusammengestellte Expeditionstruppe vorantrieb. Gnadenlos plünderte er das Land und kehrte mit Tonnen von Elfenbein zurück. Doch nach Italien gelangte er nie mehr. Er fiel 1897 in der Schlacht von Daga Roba, in einem Krieg, den der spätere Kaiser von Äthiopien, Menelik II am Ende erfolgreich gegen die italienischen Eroberer führte.

Gianfranco Calligarich kennt sich in der Geschichte des italienischen Kolonialismus aus. Er wurde 1947 als Sohn von Einwanderern aus Triest in Eritrea geboren, das von 1890 bis 1941 eine italienische Kolonie war.

Sein Roman "Wie ein wilder Gott" ist allerdings keine "postkoloniale" Abrechnung im gewohnten Sinne. In souveräner Manier flüssig geschrieben und gut lesbar dringt seine Geschichte vielmehr in die Mentalität, die Seele der Kolonialisten ein. Und dort findet sich, wie weiland bei Joseph Conrad, nichts als Elend und Finsternis.

Eine Rezension von Peter Meisenberg

Literaturangaben:
Gianfranco Calligarich: Wie ein wilder Gott
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
Zsolnay, 2024
208 Seiten, 24 Euro