Dass die Fähren ausbleiben, also die Zeit nach den Fähren herrscht, ist für eine kleine, ehemals bei Reisenden sehr beliebte Ferieninsel im Süden ein Epochenwechsel. Mit dem Ausbleiben der Touristen rutschen die Bewohnerinnen und Bewohner in eine Sinnkrise.
Da ist der Hausmeister der großen Hotelanlage, die keiner mehr bewohnt. Da ist der Barbesitzer, der nur noch an die paar Übriggebliebenen ausschenkt. Da ist die Bäckerin, die jeden Tag verbissen weiterbäckt, weil es ja sonst nichts zu tun gibt Die einzelnen Kapitel sind kurze, teils poetische Miniaturen über das Leben ohne Zweck. Sie sind teils weniger als eine Seite lang und fangen eher einen Moment ein als eine Handlung.
Thea Mengeler führt einen hier in ein literarisches Stillleben. Es gibt nur kleine Bewegungen. Etwa als auf einmal ein Kind auf der Insel auftaucht und dann wieder spurlos verschwindet. Der Hausmeister beginnt das Kind zu suchen und dadurch kommen sich die Menschen wieder näher. Der Roman liefert keine Erklärung für das Wegbleiben der Touristen oder das Auftauchen und Verschwinden des Kindes, weshalb er auch Züge einer Parabel trägt. Es geht um die Insel und ihre Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch um das Menschsein an sich.
Durch die Verknappung der Sprache und der Handlung werden die einzelnen Gesten und Worte mit Bedeutung aufgeladen. Dadurch entsteht viel Freiraum, sich in die Figuren einzufühlen. Der Roman entschleunigt die Lesenden. Einen fast schon diamantenen, literarischen Schliff gibt Thea Mengeler diesem Text voller Alltagsschilderungen von Menschen durch literarische Zitate: Virginia Woolf, Fernando Pessoa, Ingeborg Bachmann und andere mehr.
Es handelt sich bei "Nach den Fähren" um einen literarischen Schatz, der ganz unaufgeregt und unangestrengt all das in sich vereint, was gute Literatur ausmacht: Figuren, denen man nahe ist, eine Handlung, die einen aufs Wesentliche zurückführt und ein Stil, der originell ist.
Eine Rezension von Christoph Ohrem
Literaturangaben:
Thea Mengeler: Nach den Fähren
Wallstein Verlag, 2024
175 Seiten, 20 Euro