Im Roman "Der Morgen gehört uns" erzählt der italienische Schriftsteller Davide Coppo die Geschichte einer Radikalisierung, die zu Beginn der 2000er Jahre spielt. In von Ettore erzählten Rückblicken erfahren die Leserinnen und Leser wie der Protagonist in der angepriesenen Kameradschaft der neofaschistischen Gruppe "Federazione" eine Art von Geborgenheit und Freiheit zu finden glaubt, die ihm zuhause verwehrt wird. Auch das neue Gymnasium bleibt ihm verhaßt. Zumal es dort linke Gruppierungen gibt, die es zu bekämpfen gilt.
Unter Anleitung der Anführer beginnt Ettore, Bücher zu lesen. Der politisch völlig unbedarfte und unwissende Teenager erliest sich eine bestimmte Weltsicht und erfährt, was Holocaust-Leugner sind und ist von vermeintlichen Helden beeindruckt, die für ihre Sache bis in den Tod gehen. Davide Coppos Hauptfigur fühlt sich auch stark von Gewalt angezogen. Ettore prügelt sich mit Gegnern und bewundert einen Gleichgesinnten, der für "Die Sache" sogar vor Mord nicht zurück schreckt. Verblendet von der verqueren Vorstellung, seine Kameraden bis aufs Blut zu verteidigen, begeht Ettore eine Tat, die ihn aus dem Leben haut.
Davide Coppo hat mit "Der Morgen gehört uns" nicht nur eine Geschichte über einen jungen Menschen auf Abwegen geschrieben, der sich selbst verloren hat und einsam ist, sondern verweist auch auf zwei offene Wunden der italienischen Geschichte: Den bis heute nicht aufgearbeiteten Faschismus und die Spaltung innerhalb der politischen Kultur Italiens in ein links- und rechtsradikales Lager.
Davide Coppos hervorragender und lesenswerter Roman zeigt auch, daß Belesenheit und Wissen nicht vor Radikalisierung schützen. Denn diese entsteht im Buch aus einer persönlichen Enttäuschung und Desillusion heraus.
Eine Rezension von Claudia Cosmo
Literaturangaben:
Davide Coppo: Der Morgen gehört uns
Aus dem Italienischen von Jan Schönherr
Kjona Verlag, 2024
240 Seiten, 24 Euro