Michelle Steinbeck über "Favorita"

Autorin im Gespräch

Michelle Steinbeck über "Favorita"

Stand: 14.06.2024, 14:04 Uhr

Ein feministischer Pageturner, ein wilder Trip durch Italien, ein Verschwörungsthriller: All das und noch mehr verbindet Michelle Steinbeck in "Favorita" zu einem wilden und hochaktuellen Leseerlebnis.

Die junge Fila sitzt in der Wohnung ihrer Großmutter Lavinia, die vor Kurzem gestorben ist. Lavinia war Italienerin und in den Nachkriegsjahren dem Mann, der sie geschwängert hatte, in die Schweiz gefolgt. Dort ist auch Fila aufgewachsen. Allerdings meist ohne ihre Mutter Magdalena. Die war ein Freigeist, sogar etwas narzisstisch und nicht in der Lage, sich um die Tochter zu kümmern. Und jetzt bekommt Fila einen Anruf aus Italien: Die Mutter ist tot. Nicht nur das, flüstert die Ärztin am Telefon: Ermordet!

Fila lässt alles stehen und liegen und macht sich auf dem Weg nach Italien. Das komplizierte Dreiecksverhältnis aus Großmutter, Mutter und Enkelin zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman: Die strenge, aber verlässliche Lavinia und die chaotische Magdalena sind zwei extrem unterschiedliche Bezugspersonen für Fila. Großmutter und Enkelin haben irgendwann genug von Magdalena, der Kontakt reißt ab. Bis die Todesnachricht kommt.

Michelle Steinbeck zeigt an den Lebenswegen der Frauen beispielhaft das Wirken patriarchaler Muster. Zu Beginn in einer realistischen Erzählweise, ab der Ankunft in Italien dann mit gut gesetzten surrealen Elementen. Etwa, wenn Fila in einem römischen Museum mit den steinernen Statuen ins Gespräch kommt. Dabei wechseln sich hochkomische Momente mit Reflexionen über Weiblichkeit ab.

Durch den ungeklärten Todesfall ist der Roman auch spannend: Fila findet heraus, dass Magdalena ein ganz anderes Leben führte, als sie vermutet hatte – sie war die Zuhälterin "Favorita"! Fila kommt in Kontakt mit Prostituierten, die bewaffnet für die Freiheit kämpfen und wird nach einem militärischen Tumult von einem desertierten faschistischen Soldaten in einen alten Landsitz verschleppt. In seinen Augen natürlich: gerettet. Die sind Hintergründe unklar: Ein Mann namens "Der Coach" soll ihre Mutter getötet haben. Aber auch Hintermann einer faschistischen Loge sein. Der Realitätsgehalt von Filas Wahrnehmung ist dabei nicht immer gesichert.

Wie in einer klassischen Schauererzählung grätschen Albträume in die Erzählung und eine unheimliche Stimmung legt sich über die sommerliche Landschaft. Als Fila von der schönen Sisina hört, die in den 1940er Jahren im Wald um die Villa brutal getötet wurde, fängt sie an, deren Geist zu sehen. Und vertieft sich immer mehr in die alte, ungeklärte Geschichte.

Am Ende kommen der Coach und seine faschistischen Bundesgenossen tatsächlich. Aber ihr Verschwörungstreffen nimmt ein blutiges Ende… Man lässt sich gern auf diesen wilden Ritt durch ein von Faschisten, Sexarbeiterinnen mit Mondrakete und gesprächigen Geistern bevölkertes Italien mitnehmen, denn Michelle Steinbeck hat eine sehr eigene, mitreißende Sprache und fügt die Einzelteile am Ende stimmig zusammen.

Eine Rezension von Lina Brünig

Michelle Steinbeck über "Favorita"

WDR 5 Bücher - Autoren im Gespräch 15.06.2024 10:40 Min. Verfügbar bis 14.06.2025 WDR 5


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Literaturangaben:
Michelle Steinbeck: Favorita
park x ullstein, 2024
464 Seiten, 22 Euro