Heimatlosigkeit steckt Martin R. Dean tief in den Knochen. Im neuen Roman "Tabak und Schokolade" erzählt er seine ungewöhnliche Familiengeschichte: Die frühen Jahre auf Trinidad, der britischen Kolonie, wo seine indischen Vorfahren als Kontraktarbeiter landeten, und im engen Milieu Schweizer Tabakarbeiter, wo er bei den Großeltern aufwächst.
Erzählen ist für Martin R. Dean das Maß der Vergangenheit, und so befragt er seine Familienkonstellation zwischen dem Vater in der Karibik und seiner Schweizer Mutter. In drei klug komponierten Teilen erzählt er von den widersprüchlichen Geschichten der Mutter und eigenen Erfahrungen und Recherchen. Die verbliebenen Fotos aus der Kindheit helfen der Erinnerung auf die Sprünge und zeigen neue Aspekte aus dem karibischen Leben.
Nach dem Tod der Mutter reist er zum Verwandtenbesuch nach Trinidad und befasst sich mit der Geschichte seiner westindischen Vorfahren, die als 'versklavte' Kontraktarbeiter in die britischen Kronkolonien gelockt wurden. Ein Strang entwickelt sich später von einer Sklaven- zu einer Aufsteigerfamilie.
Eine Art Scharnier für die Vorfahren, aber auch für Deans eigenes Leben: In der Schweizer 'Arbeiteridylle' schleppt die Mutter mit ihrem Aufsteigerwillen noch die Not der Emmentaler Bauern mit, während die Dorfgemeinschaft an der dunklen Haut ihres Sohnes und der Familien-Vergangenheit bei den "Wilden" Anstoß nimmt.
Eine spannende Geschichte voll eindrücklicher Bilder unter dem Einfluss magischen Denkens und dem Seelenfutter Schokolade. Die berührenden Einblicke in höchst unterschiedliche Lebenswelten mit Sprachlosigkeit auf der einen und Machtlosigkeit auf der anderen Seite legen auch ein dunkles Kapitel der britischen Kolonialgeschichte frei.
Eine Rezension von Bettina Hesse
Literaturangaben:
Martin R. Dean: Tabak und Schokolade
Atlantis Verlag, 2024
224 Seiten, 22 Euro