Kerstin Kempker über "Frau im Konjunktiv. Eine Auswilderung"

Autorin im Gespräch

Kerstin Kempker über "Frau im Konjunktiv. Eine Auswilderung"

Stand: 19.07.2024, 13:44 Uhr

In einer Art Versuchsanordnung lässt Kerstin Kempker eine Frau, ein Mädchen und die Filmfigur Luise im winterlichen Rügen aufeinandertreffen, um in vielschichtiger Fiktion die Sprünge aus dem eigenen Leben zu erzählen. Ganz im Sinne des Untertitels: Eine Auswilderung.

Im wilden Wechselspiel von Textarten und Perspektiven öffnet die Frau eine Kiste voller Erinnerungen, stößt auf Notizen und Briefe des Mädchens, das sich als ihr jüngeres Ich erweist, und beißt sich ins Fleisch, um zum Kern zu gelangen. Aber das Mädchen weiß um seine Macht, weil alle Jugenderlebnisse auch die der Frau sind und ihrer beiden Leben bestimmen. "Sei doch froh, nur in der Fiktion wirst du wieder gnadenlos jung" ruft es ihr zu.

Die dritte Frau scheint als Filmfigur Luise die einzig "real" Agierende zu sein an der winterlichen Ostsee. Im Film, den wir aus der Perspektive der Frau sehen, erwartet Luise den eigenen Absturz wie den kontrollierten Absturz der Mir, während das empörte junge Mädchen die psychiatrische Einrichtung verlässt, um doch Verantwortung im höchst suspekten Normalleben zu übernehmen. Auflösung ist schließlich auch keine Lösung.

In ihrer nicht hierarchischen Textkomposition verzichtet Kerstin Kempker auf lineares Erzählen. Sie baut auf Sprache, bedient sich, wie die Frau, der "Wörter als Wände ihrer Behausung, der alten Hautspelunke." Und in den Fußnoten, jener "kleinen Freiheit unterm Strich", bringt sie ein ganzes Leben unter, samt Nebengeschichten, Aperçus und Beobachtungen vom heimischen Schreibtisch der Autorin, diesem Meer der Möglichkeiten.

Hellwach und selbstironisch sinniert die Erzählerin über Lebenskrisen und verfolgt mit Lust an skurrilen Bedeutungen existenzielle Spuren, die sich wie Flusswasser mit dem Meer vermengen und auflösen. Figuren werden mit Worten und Erinnerung konfrontiert, und in jedem Abschnitt, ob philosophische Reflexion oder Schüttelreim, blitzt Geistesgegenwart und Melancholie durch. Sehr inspirierend diese Auswilderung. Hellwach müssen auch die sein, die sie lesen.

Eine Rezension von Bettina Hesse

Kerstin Kempker über "Frau im Konjunktiv. Eine Auswilderung"

WDR 5 Bücher - Autoren im Gespräch 20.07.2024 11:11 Min. Verfügbar bis 19.07.2025 WDR 5


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Literaturangaben:
Kerstin Kempker: Frau im Konjunktiv. Eine Auswilderung
Matthes & Seitz Berlin, 2024
195 Seiten, 20 Euro