Temporeich und ironisch berichtet er von der vielschichtigen Suche nach einem Platz zwischen Kreuz und Davidstern, von Vaterfiguren und Menschensöhnen aller Art und erfindet eine Doppelfiktion, Bilder und Geschichten für die im Holocaust umgekommen nahen Verwandten.
Ilja Richter, in seinem frühen Leben einmal Moderator von "disco" im ZDF, erzählt in "Lieber Gott als nochmal Jesus" anekdotenreich eine persönliche Kulturgeschichte in Sachen Glauben: wie von einem Stolperstein-Verleger, der Wannseekonferenz oder dem strenggläubigen jüdischen Großvater im Armengrab ohne Kaddisch. Er führt Gespräche mit der Gattin von Pontius Pilatus, dem eigenen Verleger oder dem Atheisten Gregor Gysi, ob er den Fall Jesus heute als Verteidiger übernehmen würde, fragt er ihn.
Schalkhaft und kenntnisreich geht es von einem Mopsorden bis zum Judaskuss, vielleicht der Beginn des Antisemitismus. Als Grenzgänger und Obdachloser im Glauben wirft er einen kritischen Blick auf die persönliche Gottessuche, mal frivol im Plauderton, mal mit den empfindlichen Daten der Shoah umgehend, und zieht im politisch-religiös-kulturellen Material alle Register mit jüdischem Witz – nicht zuletzt, um Gott zum Lachen zu bringen, wie er seinem Verleger verspricht.
Ein kleines Feuerwerk, geistreich, berührend und versöhnlich.
Eine Rezension von Bettina Hesse
Literaturangaben:
Ilja Richter: Lieber Gott als nochmal Jesus - Fast eine Beichte
Elsinor Verlag, 2024
176 Seiten, 22 Euro