Noch vor ein paar Jahren war der Einsatz von Computern und Smartphones im Unterricht irgendwas zwischen unüblich und undenkbar.
Heute sind viele Schulen voll vernetzt und leidlich mit Rechnern ausgestattet, "mal eben was nachgucken" ist Alltag. Auch für 18 Abiturienten im Grundkurs Geschichte am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln. Zwei Dutzend Arbeitsstationen stehen im Informatikraum der Schule bereit: schicke, schnelle Rechner mit großen Bildschirmen und Obst-Logo.
Kontroverse um KZ-Videoclip
Über einen Beamer, der mit einem Laptop verbunden ist, wird ein Video an die Wand gestrahlt. Zu den Klängen von "I will survive"– ich werde überleben – tanzen fünf Menschen vor dem Vernichtungslager Auschwitz. Ein sichtlich betagter Mann ist dabei und vier junge Menschen. Viele der Geschichtsschüler betrachten den Film mit unverhohlenem Entsetzen. Die spontanen Rückmeldungen in der Klasse sind durchwachsen, manche finden den Tanz respektlos, andere mögen die Ironie oder vermuten eine therapeutischen Zweck.
Anschließend sammelt Lehrer Thomas Gampp Fragen seiner Schüler und schreibt sie mit abwischbarem Marker auf ein Whiteboard, eine beschichtete, weiße Tafel: "Was ist die Intention dieses Films?“, zum Beispiel. Aber auch: "Welche Kommentare haben andere User hinterlassen?" Die Schüler haben jetzt zwanzig Minuten Zeit, im Internet zu recherchieren.
Historiker erforscht digitales Lernen
Dieser Teil der Unterrichtsstunde ist in den Augen von Dr. Christoph Pallaske besonders wichtig. Er arbeitet am Historischen Institut der Kölner Universität und hat sich auf die Förderung selbstständigen und individuellen Lernens spezialisiert. Sein neues Buch heißt: "Geschichte lernen im digitalen Wandel." Das Internet ist naturgemäß sein Verbündeter:
"Es geht heute nicht mehr nur darum, zu wissen, was in der Vergangenheit passiert ist, sondern viel interessanter ist, sich damit auseinander zu setzen, wie in Gesellschaften über Geschichte geredet wird. Und die digitalen Medien bilden das ja insbesondere ab, die öffentliche Auseinandersetzung mit Geschichte, zu fragen, wo gibt’s Kontroversen, und gerade bei so nem Thema wie Holocaust lassen sich über das Internet ganz andere, interessantere Bezüge herstellen."
Es gebe, sagt Christoph Pallaske, ja nicht nur diverse Filme, Zeitzeugeninterviews und Dokumentationen im Netz. Sondern zum Beispiel auch Facebook-Seiten, auf denen über Geschichte diskutiert werde. Wer in Dauer-Kommunikation unterwegs ist, behält diesen Habitus - auch mit Blick in die Vergangenheit. Das lässt sich produktiv nutzen - im Geschichtsunterricht.
Allerdings findet der Wissenschaftler, dass viel zu wenig geeignetes digitales Material in deutscher Sprache existiere. Und das Potenzial der Maschinen selbst sieht er ebenfalls nüchtern: "Digitale Geräte, das Internet, das sind auch jetzt keine Wunderdinge, die dazu führen sollen, dass Schüler alleine vor nem Gerät sitzen und da irgendwas klicken und dabei würden sich große Lernprozesse einstellen. Digitale Geräte werden niemals den Lehrer ersetzen!"
Computer ersetzen keine Lehrer
Drei Kilometer entfernt, am Friedrich Wilhelm Gymnasium, ist der Kurs von Thomas Gampp fertig mit der Recherche. Die Jugendlichen haben unter anderem herausgefunden, dass der alte Mann aus dem Video Adam Kohn heißt und tatsächlich ein Überlebender ist. Seine Mutter hingegen wurde in Auschwitz ermordet. Die netzweiten Bewertungen und Kommentare zum Clip sind überwiegend positiv. Auch manche der Schüler sind nun umgestimmt, andere nicht. Was den Einsatz des Films und die Recherche im Netz angeht, haben sie keine Zweifel: so sollte Geschichtsunterricht sein: "Ich finde, zu versuchen, das zu vergessen, ist nicht die richtige Herangehensweise, deshalb finde ich auch Videos, die so die Diskussion entfachen, wie dieses hier, eigentlich ziemlich gut, weil ich finde eine kontroverse Herangehensweise besser als keine Herangehensweise."
Internet nicht verteufeln
Thomas Gampp bedankt sich bei den Abiturienten für ihren angemessenen, taktvollen Umgang mit dem schwierigen Stoff und entlässt sie in die Mittagspause. Er will in seinem Unterricht auch in Zukunft regelmäßig Computertechnik einsetzen. Er findet, sie eigne sich grundsätzlich für jedes Thema: "Der Einsatz digitaler Medien hat sich im Unterricht immer als sehr motivierend für die Schüler erwiesen; darüber hinaus ist es auch eine enorme Erweiterung der Möglichkeiten, bestimmte Bilder zum Beispiel zu finden, es erhöht die Anschaulichkeit und es hat einen sehr großen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler."
Redaktion: Imke Marggraf