Breanna Mitchell hat sich vermutlich nichts dabei gedacht. Ein Selfie mitten zwischen den Baracken von Auschwitz – macht das nicht jeder? Vielleicht hätte das junge Mädchen aus dem US-Bundestaat Alabama vorher fragen sollen. Der Sturm der Entrüstung, nachdem sie das Bild gepostet hatte, war jedenfalls groß. Nachvollziehbar sei die Aufregung indes nicht unbedingt gewesen, meint Piotr Cywinski, Direktor der Gedenkstätte Auschwitz.
"Man hat erwartet, dass sich ein Teenager genauso wie ein Universitätsprofessor verhält. Das ist absurd. Wenn Politiker nach Auschwitz kommen, dann nehmen sie schließlich doch auch immer ihre Fotografen mit. Man kann dem Mädchen keine böse Absicht unterstellen. Sie machte das Foto gleich nach dem sie rein kam. Sie fühlte die hier herrschende Thematik noch nicht."
Was ist angemessenes Verhalten?
Selfies auf dem Gelände von Auschwitz, sagt Cywinski seien natürlich ein Problem. Aber kein Drama. Der Teenager aus den USA ist jedenfalls kein Einzelfall. Immer wieder können die Fremdenführer beobachten, wie vor allem junge Menschen auf dem Gelände für Selbstaufnahmen posierten. Gedankenlosigkeit, meint Cywinski, mehr nicht.
"Sicher betrachten einige, die nach Auschwitz kommen das Lager als Touristenattraktion. Aber die Intentionen und Motive der Leute, spielen für mich keine besondere Rolle. Viel wichtiger ist, mit welchen Schlussfolgerungen sie das Gelände verlassen. Es ist oft so, dass die Jugendgruppen hierher gut gelaunt kommen, lachend aus ihren Bussen aussteigen und nach dem Besuch ganz still und konzentriert wieder wegfahren. Da ist schon ein gewaltiger Kontrast zu beobachten zwischen dem Verhalten bei der Ankunft und bei der Abfahrt der Busse."
Gedankenlosigkeit? - Geschmacklosigkeiten haben Ursachen
Selbstaufnahmen auf dem Gelände, fügt der Sprecher der Auschwitzgedenkstätte, Pawel Sawicki, seien bei Weitem nicht so schlimm, wie etwa die zahlreichen zum Teil professionellen Überlegungen, was man hier alles machen könnte. Überlegungen von PR-Agenturen zum Beispiel, wie sich die Art der Erinnerung an die Opfer des in Auschwitz verübten Massenverbrechens werbewirksam erweitern ließe. Wobei Vorschläge wie etwa Zehntausende weiße Tauben über dem KZ-Gelände aufsteigen zu lassen - schildert der polnische Journalist und Buchautor Michal Olszewski - noch zu den eher harmlosen gehörten.
"Es gibt immer wieder neue Ideen, wie man mehr Aufmerksamkeit für Auschwitz erzeugen könnte. Da gab es zum Beispiel den Vorschlag eines bekannten Modedesigners, am Tor gleich unter dem Schriftzug 'Arbeit macht frei' einen Laufsteg für Models zu errichten, um so die internationale Gemeinschaft für die damalige Tragödie zu sensibilisieren. Das ist grotesk und empörend. Es ist so, als ob mehrere Jahrzehnte nach dem Krieg das Gelände vom KZ-Lager uns nicht mehr ausreichen würde. Als ob die Erzählung darüber, was hier passierte, abgenutzt wäre. Als ob es Bedarf gäbe, hier etwas neues Interessantes machen zu müssen, um mehr Menschen anzulocken. Seltsame Geschichte."
Seltsam und geschmacklos meint auch der Sprecher der Gedenkstätte von Auschwitz. Insofern seien Selfies – solange sie nicht in böser Absicht gemacht würden – eher als zeitgemäß zu betrachten. Und eine bloße Touristenattraktion werde das Konzentrationslager ohnehin niemals werden können.
Redaktion: Imke Marggraf