Aber nicht, wenn das Ganze nicht länger als symphonisches Gemälde mit unvermeidlichen Langstellen angelegt ist, sondern als echtes Drama wie bei der konzertanten Aufführung mit Kent Nagano in historischer Aufführungspraxis in der Kölner Philharmonie. Echtes Drama heißt, das Schauspielerische in den Mittelpunkt zu rücken, was schon bei der Artikulation und der Tongebung anfängt. Wagner selbst schwebte ein sprachnahes Singen vor, manchmal sogar ein Sprechgesang, sicher aber kein Singen mit stimmlichem Überdruck, wie man es heute oft auf den Bühnen hört. Das haben die wissenschaftlichen Vorstudien zu dem Wagner-Projekt von Concerto Köln (das bei diesem Projekt inzwischen mit dem Dresdner Festspielorchester zusammenspielt) ergeben.
In Köln gab Ric Furman den Siegmund. Er ist alles andere als ein Heldentenor, fast ein lyrischer hoher Bariton. Herausgestoßene Wälse"-Schreie, die zehn Sekunden andauern, sind seine Sache nicht. Bei ihm ist das kein Kraft- sondern ein Verzweiflungsausdruck.
Schauspielerisch auch die Reaktion von Brünnhilde auf Wotans Verdammnis, wie Christiane Libor bei "War es so schmählich, was ich verbrach" gestaltete oder der Auftritt von Hunding in der Art von Patrick Zielke. Das war kein finsterer Gesang, sondern eine Mischung aus deklamierter Selbstsicherheit und Rohheit von großartiger Bühnenpräsenz und alles ohne Kostüm.
Wenn von Leitmotiven die Rede ist, spricht man von melodischen Gestalten, von Tonfolgen. Kent Nagano führte aber vor, dass Wagners dramatische Musik oft eher noch eine Klangfarbenkomposition ist. Beim langen Vorspiel zum 2. Aufzug und beim Walkürenritt stellte er nicht die prägnanten Blechbläsersignale in den Mittelpunkt, sondern drohendes und dumpfes Wühlen im Orchester. Dabei war das auf historischen Instrumenten spielende Orchester überhaupt nicht leise. In der Kölner Philharmonie gab es Stellen, wo einem die geballte Klangkraft entgegenströmte, etwa im Nachspiel zu Wotans Ruf "Siegmund falle". Aber es war eine füllige Lautstärke, bei der man in den wuchtigen Orchestersatz hineinhören konnte.
Es gab freilich auch Stellen, die eher an eine normale Wagner-Aufführungen erinnerten, etwa Wotans Schlussgesang "Der Augen leuchtendes Paar" mit klanggesättigtem Ausdruck von Derek Welton oder Sieglindes Angstträume im 2. Aufzug, hingebungsvoll gesungen von Sarah Wegener und angetrieben von einem hier doch einmal symphonisch pulsierenden und nicht kommentierend agierenden Orchester, um dann aber gleich wieder jenen drohenden, dunklen, verstörenden Klang wie in Webers "Wolfsschluchtszene" anzustimmen, beim Anmarsch von Hunding und seinen Häschern.
Es ist das große Verdienst von Kent Nagano, das Neuartige dieser schauspielerischen, klangsprachlichen Wagner-Deutung vom kompakten "Rheingold" souverän auf die lange "Walküre" übertragen zu haben. Das vor Jahren von Concerto Köln initiierte Projekt "Wagner-Lesarten" (mittlerweile unter dem Dach der Dresdner Musikfestspiele in "The Wagner Cycles" umbenannt) ist aus seiner Experimentierphase herausgetreten.
Aufführung am 24.3.2024, auch am 01.05. in Hamburg, am 09.05 in Dresden und am 21.08.2024 in Luzern
Besetzung:
Wotan: Derek Welton
Siegmund: Ric Furman
Sieglinde: Sarah Wegener
Brünnhilde: Christiane Libor
Hunding: Patrick Zielke
Fricka: Claude Eichenberger
Walküren: Natalie Karl, Chelsea Zurflüh, Karola Sophia Schmid; Ulrike Malotta, Ida Aldrian, Marie Luise Dreßen, Eva Vogel, Jasmin Ethminan
Concerto Köln, Dresdner Festspielorchester
Musikalische Leitung: Kent Nagano