Das betrifft vor allem die Titelfigur des Fürsten Myschkin, der auf der weiten Bühne der Felsenreitschule wie eine ätherische Lichtgestalt erscheint und sich in seiner weißen Kostümierung und dem rötlich aufgehellten Haar, seinem schwebenden Gebaren und auch in der Art wie ihn Bogdan Volkov singt von allen anderen abhebt, nämlich mit reinem Timbre fast wie ein französischer Hautcontre, so dass seine seltenen pathetischen Ausbrüche etwa bei der Erzählung seiner Erlebnisse in der Schweizer Bergwelt, wie ein blitzartiges Ereignis wirken.
Die Bezeichnung Idiot meint hier eine Mischung aus kindlicher Ehrlichkeit, wissender Naivität und Don Quijote-artiger Vertrauensseligkeit. Bei Dostojewski ist dieser Fürst weniger eine Symbolfigur, sondern auch ein Mensch mit Interessen, der in das St. Petersburger Establishment hereinbricht und durchaus nicht nur selbstlos mitleidend ist, z. B. gegenüber der Courtisane Nastassja, um die er sich mit Rogoschin streitet, der ihn fast ermordet, was dieser dann später mit Nastassja tut. In Salzburg wird dieser Schluss in einer erschütternden Weise akzentuiert durch eine Videoprojektion, die zeigt, wie sich Rogoschin und der Fürst zu der toten Frau legen, so als ob deren Tod etwas Versöhnliches hätte.
Es ist also immer der Fürst, um den sich alles dreht, selbst noch in den Botschaften, die er an die Frauen richtet, wenn er emanzipierten Aglaja sagt: "Mein Licht sind Sie und meine Freude", gleichzeitig aber betont, ihr keinen Heiratsantrag gemacht zu haben und an anderer Stelle gegenüber Nastassja: "Ich liebe Sie. Ich würde für Sie sterben." Die anderen Figuren halten sich auf der Felsenreitschule immer parat, um in dieses Spiel aus grotesken Situationen hereinzutreten. Das Ganze wirkt dann nicht wie ein Kammerspiel psychologischer Hintergründigkeiten, sondern fast wie ein barockes Arsenal an Absurditäten, die durchaus auch berührend wirken können wie der Beginn des 3. Aktes, wo der Fürst dem toten Heiland aus Holbeins Gemälde gleich daliegt, aber wieder aufsteht oder auch erschütternd, wenn er nach dem Kreuzestausch mit Rogoschin einen epileptischen Anfall erleidet, der auf der Bühne so ausgeleuchtet wird als sei es eine ekstatische Tanzperformance.
Als Gegenspieler des Fürsten ist Rogoschin mit dem sonoren, elegant geführten Bass von Vladislav Sulimsky ein dunkles Kontrastmittel, Nastassja eine exaltierte, wenn auch, wie sie von Ausrine Stundyte gesungen und gespielt wird, eine zu wenig profilierte femme fatale und Xenia Puskarz Thomas als Aglaja eine kapriziöse Emanze mit koloratursicherem Mezzosopran.
Dass Weinbergs Oper, 1986/87 komponiert und erst 2013 in Mannheim uraufgeführt, in Salzburg über dreieinhalb Stunden als ein Stück fesselndes Musiktheater zu erleben war, bei dem sowohl die formale Konstruktion der Oper mit dem Geflecht aus leitmotivischen Anspielungen hörbar wurde wie der Klangfarbenreichtum der Partitur, dafür sorgte am Pult der Wiener Philharmoniker die präzis dirigierende Mirga Gražinytė-Tyla als ausgewiesene Expertin für die Musik des 1996 in Moskau verstorbenen polnischen Komponisten.
Premiere: 02.08.2024, besuchte Vorstellung: 15.08.2024 noch am 18. und 23.08.2024
Besetzung:
Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin: Bogdan Volkov
Nastassja Filippowna Baraschkowa: Ausrine Stundyte
Parfjon Semjonowitsch Rogoschin: Vladislav Sulimsky
Lukjan Timofejewitsch Lebedjew: Iurii Samoilov
Iwan Fjodorowitsch Jepantschin, General: Clive Bayley
Jelisaweta Prokofjewna Jepantschina, seine Frau: Margarita Nekrasova
Aglaja Iwanowna Jepantschina: Xenia Puskarz Thomas
Alexandra Iwanowna Jepantschina: Jessica Niles
Gawrila (Ganja) Ardalionowitsch Iwolgin: Pavol Breslik
Warwara (Warja) Ardalionowa Iwolgina Daria: Strulia
Afanassi Iwanowitsch Totzki: Jerzy Butryn
Messerschleifer: Alexander Kravets
Herren der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker
Musikalische Leitung: Mirga Gražinytė-Tyla
Regie: Krzysztof Warlikowski
Bühne und Kostüme: Małgorzata Szczęśniak
Licht: Felice Ross
Video: Kamil Polak
Choreografie: Claude Bardouil
Dramaturgie: Christian Longchamp
Choreinstudierung: Pawel Markowicz