Sie sind teils lebendig, erscheinen teils als Skulpturen, teils als verkleidete Menschen. Da flattern weiße Tauben umher zu Frickas Appell an Wotan, die Gesetze der Ehe zu achten. Fricka selbst tritt hier in einer Frauen-Gefolgschaft in weißen Kostümen auf, die alle zusammen so etwas wie eine lebendige Widderskulptur bilden. Beim Walkürenritt werden schwarze Pferde umher geführt und vorne blasse nackte Männerleichen gestapelt. Und Hunding wird durch einen umherlaufenden schwarzen Schäferhund symbolisiert, dessen Kadaver nach dessen Tod nach oben gezogen wird.
Alles das ist kein Zoo und kein Zirkus, aber der Eindruck animalischer Gewalt und Erschütterung wie seinerzeit bei „Salome“ stellt sich nicht ein. Zwar gibt es noch viele andere, sicher alle gut begründete Details auf der Bühne z. B. einen Kühlschrank, in dem das Schwert Nothung aufbewahrt wird, einen Beichtstuhl, in dem sich Hunding verkriecht, ein wie von Geisterhand bewegtes Bett beim Liebesgesang von Siegmund und Sieglinde.
Aber die Oper ist lang, und es gelingt Castellucci nicht, einen Spannungsbogen aufzubauen, ein Theater zu gestalten, dass von der Interaktion und psychologischen Ausleuchtung der Figuren in den langen, langen Dialogszenen lebt. Außerdem ist Bühne meistens so dunkel, dass man die Details sowieso nur schemenhaft wahrnimmt (zumal im 1. Rang, von wo der Blick dann unwillkürlich in den erleuchteten Orchestergraben gelenkt wird).
So ziehen sich spätestens von der Mitte des 2. Aufzugs an, der Auseinandersetzung zwischen Wotan und Brünnhilde, bis zu Wotans Abschied von ihr am Schluss der Oper die Gespräche ohne prägnante Bühnenaktion dahin und ermüden fast.
Wenn da nicht Alain Altinoglu mit dem Brüsseler Opernorchester die Flammen der Erregung immer wieder anfachen würde mit einem unerhört auftrumpfendem Forte-Fortissimo vor dem endgültigen Abschied Wotans von Brünnhilde („Der Augen leuchtendes Paar“) oder im energetisch peitschenden Vorspiel zum 2. Aufzug.
Nadja Stefanoff war in der Rolle der Sieglinde eine Entdeckung. Sie sang mit klarer, rhetorischer Diktion, aber genauso mit angstvoller Intensität vor Siegmunds Fall. Eine gesanglich ebenso neuartige Darstellung der Brünnhilde lieferte Ingela Brimberg. Man hat es bei hier nicht mit dem Typus der matronenhaften, ihre Stimme donnern und gellen lassenden Wagnerheroine zu tun, sondern mit einer empfindenden und sich differenziert artikulierenden Frau. Gábor Bretz ist eine Art jugendlicher Wotan, der seinen besten Moment hatte, als er Brünnhilde gesteht „Der Traurigste bin ich von allen“. Peter Wedd als Siegmund hatte in der besuchten Vorstellung deutliche Schwierigkeiten. Bei „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ fehlte der kammermusikalische Schwung und bei der Todesverkündung vernahm man ein bloßes Wimmern statt den Ausdruck von Kampfesmut.
Besuchte Vorstellung: 08.02.2024, Premiere: 21.01.2024
Besetzung:
Siegmund: Peter Wedd
Hunding: Ante Jerkunica
Wotan: Gábor Bretz
Sieglinde: Nadja Stefanoff
Brünnhilde: Ingela Brimberg
Fricka: Marie-Nicole Lemieux
Walküren: Karen Vermeiren, Tineke van Ingelgem, Polly Leech, Lotte Verstaen, Katie Lowe, Marie-Andrée Bouchard-Lesieur, Iris van Wijnen, Christel Loetzsch
Symphonie-Orchester La Monnaie
Musikalische Leitung: Alain Altinoglu
Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht: Romeo Castellucci
Dramaturgie: Christian Longchamp
Künstlerische Mitarbeit, Mitarbeit Bühne, Kostüme und Licht: Maxi Menja Lehmann, Paola Villani, Clara Rosina Straßer, Raphael Noel
Choreographie: Cindy van Acker