Die Stücke könnten unterschiedlicher in ihrer Stilistik nicht sein. Die Frau, die im Wald ihren Liebhaber sucht, muss sich am Ende fragen, ob sie selbst Schuld an dessen Tod hat. Schönberg kleidet den von der Ärztin Marie Pappenheim verfassten Frauenmonolog in eine frei atonale Orchestersprache. Aber schon damals passte eine solche klingende Psychoanalyse nicht recht in die Zeit, in der Richard Strauss "Salome" und "Elektra" und Strawinsky "Le sacre du printemps" herausbrachten. Und in die heutige Zeit eigentlich auch nicht. Zwar äußert sich die Frau - in Wuppertal Hanna Larissa Naujoks in einer überzeugenden Rollengestaltung - an manchen Stellen emotional herausfahrend. Dennoch wirkt die ganze Konstruktion auch immer ein bisschen akademisch. Schönbergs "Erwartung" hat nie den Eingang ins Repertoire gefunden.
Und Ethel Smyths "Der Wald" auch nicht. Hier ist die Situation im Vergleich zu Schönberg genau umgekehrt. Der Wilderer und Holzfäller Heinrich gerät in die Fänge der bösartigen Jolanthe, die ihn als Liebhaber auserkoren hat, er bleibt seiner Braut Röschen aber treu und bezahlt mit dem Tod. Das deutsche Libretto hat sich die englische Komponistin, die zeitweise der Suffragetten-Bewegung auf der Insel angehörte, selbst verfasst. Es strotzt nur so von romantischen Klischees. Die Waldromantik des "Freischütz", den Wagner'schen Venusberg, den Lortzing'schen Biedermeier-Humor und vieles mehr vermengt Smyth in ihrer zweiten Oper zu einem überbordenden Stilmix. Das Problem ist hauptsächlich die krude Dramaturgie des Stücks, während man aus dem unter Leitung Patrick Hahn engagiert spielen Wuppertaler Orchester immer wieder Ethel Smyths geschickte Instrumentierungskunst vernimmt. Auch wenn das Stück nach der Uraufführung in Berlin mit riesigem Erfolg 1903 an der Met gegeben wurde, wirkt es selbst für die Zeit damals rückwärtsgewandt und erst recht auf uns heute - trotz der wichtigen Wiederentdeckungsbemühungen um das Schaffen von Ethel Smyth.
In Wuppertal hat sich der Regisseur Manuel Schmitt einen interessanten Mechanismus ausgedacht, die beiden so unterschiedlichen Stücke zusammenzuschmieden. In Schönbergs "Erwartung" erinnert sich die Frau an die Begebenheiten, die sich in dem gedanklich früher stattgefundenen zweiten Stück ereignet haben; man sieht hier schon die Figuren aus Smyths "Der Wald". Und umgekehrt tritt auch dort "die Frau" auf und erweist sich tatsächlich als Mörderin des Liebhabers, der dann kein anderer ist als der Holzfäller Heinrich. Dann stehen am Ende des Abends plötzlich drei Frauen in rötlichen Haaren auf der Bühne, die je auf ihre Art unterschiedliche Charakterfacetten verkörpert haben, das Flehentliche von Röschen (Mariya Taniguchi), das Gewalttätige von Jolanthe (Edith Grossman) und das Wahnhaft-Suchende von "der Frau" (Hanna Larissa Naujoks).
Premiere: 07.04.2024, noch bis zum 18.05.2024
Besetzung:
Erwartung:
Eine Frau: Hanna Larissa Naujoks
Der Wald:
Landgraf Rudolf: Samueol Park‘
Jolanthe: Edit Grossman
Heinrich: Sangmin Jeon
Peter: Erik Rousi
Röschen: Mariya Taniguchi
Ein Hausierer: Zachary Wilson
Ein Bursche: Nika Dönges/Mira Ilina
Ein Jäger: Hak-Young Lee
Chor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen
Sinfonieorchester Wuppertal
Musikalische Leitung: Patrick Hahn
Inszenierung: Manuel Schmitt
Bühne und Kostüme: Julia Katharina Berndt
Choreinstudierung: Ulrich Zippelius
OpernClub Kids: Eva Caspari
Dramaturgie: Laura Knoll