Bei ihr stehen Tolomeo und sein Feldherr Achilla im Mittelpunkt, die beide Cornelia, die Frau des ermordeten Pompeius begehren, und zwar auf brutale Weise: hilft weder Verführung noch gutes Zureden, bleibt nur noch Gewalt. Achilla wird gewalttätig, weil er sich nicht beherrschen kann. Nach seinem zweiten Ausbruch kauert er zusammengesunken da, als er von Tolomeo erfahren hat, dass er gar nicht daran denkt, ihm Cornelia zu überlassen. Der Bariton Božidar Smiljanić singt diesen Achilla mal mit kraftvoll donnernder, mal mit lyrisch emotionaler Linie.
Tolomeo ist, so wie ihn Nadja Loschky zeigt, dagegen ein Sadist. In seinem Harem wird einem Sado-Fetischkult gehuldigt, und Cornelia soll nur eines von seinen Fetisch-Objekten sein. Die Menschen am ägyptischen Hof tragen laszive Gewänder. Irina Spreckelmeyer hat für Tolomeo ein durchsichtiges Kettenhemd aus Perlen mit Puffärmeln geschneidert und für Cleopatra ein wallendes weißes Kleid. Sie gehört zu diesem Hof, auch wenn sie gegen Tolomeo opponiert. Alles ist in schwarz-weiß gehalten und strahlt trotzdem überbordende Opulenz aus.
Cesare hingegen trägt einen schwarzen Lederrock und schwarze Lederhandschuhe, dazu einen anthrazitfarbenen Sakko. Er sieht aus wie ein verirrter Schotte. Als er von der Cleopatra (im 2. Akt) auf den Parnass geführt wird und sie ihren Schleier fallen lässt, wirkt er in der Darstellung von Lawrence Zazzo spielt wie ein erotische Novize, während Pretty Yende als Cleopatra trotz aller echten Liebe, die das Libretto der Oper ja nahelegt, immer eine Spur subtiler Berechnung ausstrahlt.
Die eigentliche Hauptfigur ist aber Cornelia. Der Zuschauer empfindet ihren Schmerz über den enthaupteten Pompeius mit, weil Händel ihn in ihren Arien auskomponiert hat. In "Priva son d'ogni conforto" lässt Cláudia Ribas diesen Schmerz in einem dunklen, volltönenden und doch zarten Gesang fluten. Die Sängerin, die noch dem Frankfurter Opernstudio angehört, ist die Entdeckung in dieser Produktion. Wenn am Ende Tolomeo von ihrem jünglingshaften Sohn Sesto getötet wird, ist sie aber nicht gerächt, sondern traumatisiert. Sie – und nicht das neue Paar Cleopatra und Cesare - beherrscht das Schlussbild im berühmten Duett "Caro! – Bella!".
Die von Nadja Loschky gezeigten Psychostudien werden vom Zuschauer aber auch deswegen so eindringlich wahrgenommen, weil Etienne Pluss ein zugleich reduziertes wie signifikantes Bühnenambiente geschaffen hat. Es handelt sich um eine Schiebebühne, die so unmerklich wie ein Minutenzeiger nach links geschoben wird. Szene für Szene zeigen sich immer neue Räume: Tolomeo in der Badewanne, wie er von Cesare gedemütigt wird, Säulenreihen mit Büsten von Cesare, ein leerer Raum, in dem ein Kühlschrank steht, wo sich Achilla mit Milch Mut antrinkt. Die Szenen fließen ohne abrupte Wechsel ineinander, so dass die nächste immer schon von rechts kommend erkennbar wird.
Aber das vielleicht wichtigste Kennzeichen dieser Produktion ist das Zusammenspiel zwischen Musik und Szene. Je länger der Abend dauert, desto versierter spielt das Frankfurter Opernorchester unter Leitung von Simone Di Felice, ergänzt um Continuospieler aus der Alten Musik. Da klingen die Da-Capo-Teile der zahllosen Arien nicht wie Pflichtübungen, sie werden auch nicht brachial ausgeziert und virtuos überfrachtet, sondern fließen in einer natürlichen Intensität dahin. Nadja Loschky greift das auf. Wenn etwa Cleopatra in ihrer Arie Nr.10 "Tutto può donne vezzosa" davon singt, dass eine Frau mit ihren Verführungskünsten alles erreichen kann – gerade hat sie Cesare umgarnt - dann klingt das in dem Gesang von Pretty Yende, bei aller Virtuosität noch etwas ungläubig, erst im Da Capo legt sie in ihre Stimme - und zeigt es auch in ihrer Bühnenpräsenz - eine Art von Selbstvergewisserung. Und so vielen andern Arien auch: es gibt im Da Capo immer ein psychisches oder emotionales, von der Regisseurin herausgearbeitetes Moment. Damit nimmt diese Inszenierung die Bauprinzipien der opera seria ernst, ohne einem historisierenden Gestentheater zu folgen.
Die Sängerbesetzung dieser Produktion ist herausragend. Neben den genannten ist auch die Mezzosopranistin Bianca Andrew als Sesto nennen, die diese Rolle changierend zwischen Jungenhaftigkeit und Entschlossenheit ausleuchtet und Nils Wanderer als Tolomeo, der in seine Counterstimme jene Portion an Laszivität legt, die er schon rein optisch ausstrahlt. Und als weitere Entdeckung der junge Iurii Iushkevich in der Rolle des Nireno, der mit glockenhellem Counter so singt, dass man ihn für eine Soubrette halten könnte ohne das jede Anstrengung.
Besuchte Vorstellung: 06.04.2024, Premiere: 24.03.2024 noch bis 18.05.2024
Besetzung:
Giulio Cesare: Lawrence Zazzo
Cleopatra: Pretty Yende
Cornelia: Cláudia Ribas
Sesto: Bianca Andrew
Tolomeo: Nils Wanderer
Achilla: Božidar Smiljanić
Curio: Jarrett Porter
Nireno: Iurii Iushkevich
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Musikalische Leitung: Simone Di Felice
Inszenierung: Nadja Loschky
Bühnenbild: Etienne Pluss
Kostüme: Irina Spreckelmeyer
Licht: Joachim Klein
Choreinstudierung: Tilman Michael
Konzeptionelle Mitarbeit: Yvonne Gebauer
Dramaturgie: Mareike Wink