Reichspogromnacht, Pogromnacht oder Kristallnacht? Darum ist die Wortwahl wichtig

Stand: 09.11.2023, 13:14 Uhr

Im November 1938 wurden in Deutschland Jüdinnen und Juden gewaltsam angegegriffen. Für diesen Terror gibt es heute verschiedene Begriffe. Warum die Wortwahl so wichtig ist.

Sie werden beschimpft, verprügelt, durch Straßen gehetzt, vergewaltigt: Im Herbst 1938 werden im Deutschen Reich ungezählte Jüdinnen und Juden massiv drangsaliert. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gipfelt der staatlich geschürte Antisemitismus in einem Pogrom.

1938: Brennende Synagoge in Bielefeld | Bildquelle: akg-images / Hans Asemissen

Die Forschung geht nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) im Zusammenhang mit dem Pogrom von mehr als 1.500 Todesopfern aus. Mehr als 190 Synagogen wurden in Brand gesteckt, mehr als 1.400 jüdische Betstuben und Synagogen wurden zerstört. Reichsweit sind mehr als 7.500 jüdische Geschäfte zertrümmert und geplündert. Rund 30.000 Männer werden in Konzentrationslager gesperrt.

Begriffe mit unterschiedlichen Bedeutungen

Für diese flächendeckenden Terrorakte - begangen von einem Mob aus SA, SS und "normalen" Bürgern - sind heute verschiedene Sammelbegriffe im Umlauf. Sie betonen teilweise unterschiedliche Aspekte der Gewaltakte rund um den 9. November 1938 - oder blenden diese aus. Hier eine Übersicht.

"Reichskristallnacht" oder "Kristallnacht":

Diese Begriffe wurden von der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung schon kurz nach den Ausschreitungen verwendet. Trotzdem ist ihre Herkunft unklar. Sie sollen im Berliner Volksmund entstanden sein.

Zerstörtes Schaufenster eines jüdischen Geschäfts | Bildquelle: akg-images

Da der Begriff "Kristallnacht" auf die zerstörten Schaufenster jüdischer Geschäfte anspielt und damit nur auf den materiellen Schaden verweist, gilt er als verharmlosend. Auch der Wortteil "Nacht" ist irreführend: Die Gewaltakte fanden auch während des Tages statt. Viele Wissenschaftler verwenden ihn deshalb nicht mehr. International ist "Night of Crystal" jedoch nach wie vor eine gebräuchliche Bezeichnung.

"Judenaktion":

Dieses Wort gehört eindeutig zur Tätersprache. Die Nationalsozialisten gebrauchten nach RBB-Angaben auch andere Propagandabegriffe wie "Novemberaktion" oder "gerechte Vergeltungskundgebungen". Die Verwendung des Wortes "Reichskristallnacht" hingegen sei bislang nur in einer Rede des NS-Funktionärs Wilhelm Börger vom Juni 1939 belegt.

Pogrom:

Das Wort kommt aus dem Russischen. Es entstand nach Angaben des Jüdischen Museum Berlin in den 1880er-Jahren im Zarenreich nach Massakern an Jüdinnen und Juden. Der Begriff bedeutet soviel wie "Verwüstung", "Zerstörung" oder "Krawall".

Auch bei diesem Begriff gibt es den Vorwurf, dass die materielle Schäden im Vordergrund stehen und das menschliche Leid sowie die Morde verharmlost werden. Ein weiterer Einwand: Der Begriff Pogrom stehe für einen Gewaltakt, der von der Bevölkerung ausgeht, und berge deshalb die Gefahr, die staatliche Lenkung der Gewaltaktionen im November 1938 auszublenden.

Reichspogromnacht:

Reichspogromnacht ist nach BpB-Angaben der heute gebräuchliche Begriff - neben dem Ausdruck Novemberpogrom. Er lasse jedoch außer Acht, dass sich die Gewalt nicht auf eine Nacht beschränkte, sondern über mehrere Tage anhielt.

Andererseits: Da es bereits viele Pogrome an Jüdinnen und Juden gegeben hat, bietet der Begriff mit der Erwähnung des Deutschen Reiches auch einen zeitlichen und örtlichen Bezug zum Geschehen von 1938. Verwendet wird der Begriff Reichspogromnacht unter anderem auch vom Zentralrat der Juden.

Unsere Quellen:

  • Bundeszentrale für politische Bildung
  • Deutsches Historisches Museum
  • Jüdisches Museum Berlin
  • Angaben des RBB