Wer Carl Seibert irgendwo auf Münsters Straßen begegnet, könnte ihn für einen ganz normalen Studenten halten. Aber der 19-Jährige aus Dorsten ist eine echte Rarität. Obwohl er bis zum Abitur jahrelang in seiner Freizeit als Schauspieler und Musicaldarsteller aktiv war, will er jetzt Priester werden.
"Wie soll ich das jetzt sagen, ohne so furchtbar fromm zu klingen?" Er überlegt kurz: "Weil der Beruf einfach so unfassbar vielfältig ist, und ich mir nichts Schöneres vorstellen kann, als die Frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen." In seiner Generation ist er mit diesem Wunsch ziemlich allein.
Warum will niemand mehr Priester werden?
Carl Seibert lebt seit einigen Monaten im Priesterseminar des Bistums Münster. Hier ist Platz für 120 Priesterkandidaten, nur acht leben hier aktuell. Damit der größte Teil des Hauses nicht ungenutzt leer steht, hat die Leitung des Priesterseminars 60 Studierende mit anderen Berufswünschen aufgenommen. Carl Seibert denkt nicht, dass der fehlende Priesternachwuchs allein am Zölibat liegt.
Mehr Offenheit bringt mehr Bewerber?
Das Priesterseminar hat sich immerhin schon geöffnet. Dass hier jetzt sogar katholische Studentinnen wohnen, überrascht viele. Früher hatte man Sorge, dass die jungen Frauen Nachwuchspriester von ihrem Weg abbringen könnten. Heute hält man die Versuchung nicht mehr für ganz so groß.
Früher, so berichtet Philip Peters, der Leiter des Priesterseminars, brach fast die Hälfte des Nachwuchses die Ausbildung ab. Das habe sich verschoben, berichtet der Seminarleiter, heute sei es nur noch ein Drittel: "Wer heute diesen Schritt geht, und in diesen Zeiten sagt, ich könnte mir vorstellen, Priester zu werden, hat sich schon mehr mit der Frage auseinandergesetzt, was das bedeutet." Aber ein Drittel Abbrecher ist bei so wenig Nachwuchspriestern immer noch viel zu viel.
100 Priester gehen, nur vier kommen
Das Bistum Münster hat aktuell 356 Priester. Bis 2030 gehen zirka 100 in den Ruhestand. Genau lässt sich das nicht sagen, da es für Priester kein fixes Datum für die Rente gibt. Den 100 angehenden Ruheständlern stehen nur vier Nachwuchspriester gegenüber, die bis 2030 ihre Ausbildung beenden.
Philip Peters, der Leiter des Priesterseminars, findet, dass die Kirche es nicht schafft, die positiven Seiten des Jobs herauszuarbeiten. Und man müsse nüchtern und ehrlich zugeben, "dass die gesamtgesellschaftliche Entwicklung einfach auch ist wie sie ist. Das werden wir hier jetzt auch nicht aufhalten können."
Das Gemeindeleben wird sich ändern
Deshalb, so der Leiter des Priesterseminars in Münster, müssten sich alle auf eine neue Art von Kirche einstellen: "Früher hatte jede Gemeinde ihren Priester. Das wird so nicht bleiben." Die Entwicklung sieht er parallel zu vielen anderen Bereichen. Geschäfte in kleinen Orten hätten sich ja auch nicht halten können.
Die schwindende Zahl der Gläubigen und die immer kleinere Zahl an Priestern wird Folgen für das Gemeindeleben haben. Viele Aufgaben wie Taufe, Firm- und Ehevorbereitung oder die Seniorenbetreuung werden nur noch in bestimmten Zentren angeboten werden, nicht mehr in der Fläche. Und damit wird sich auch das Berufsbild des Priesters verändern.
Carl Seibert weiß selbst nicht, was ihn am Ende seiner Ausbildung erwartet: "Ich bin im ersten Studienjahr: Jetzt bin ich voller Eifer dabei und gehe diesen Weg gerne und schreite voran. Aber was die Zukunft bringt, das ist mir auch völlig unklar."
Unsere Quellen:
- Priesterseminar Münster
- Bistum Münster
- WDR-Reporter vor Ort
Über dieses Thema berichten wir am 18.06.2024 um 19:30 Uhr auch im WDR-Fernsehen in der Lokalzeit Münsterland.